Über die Verbreitung und Wirkung der Beratungsformate Supervision und
Coaching in der betriebsrätlichen Praxis österreichischer
Arbeitnehmervertretungen
Mag. Peter Hackl
Zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Science
MSc (Supervision, Coaching und Organisationsentwicklung)
Wien, 1. August 2018
Universitätsinstitut für Beratungs- und Managementwissenschaften (ARGE
Bildungsmanagement) an der Fakultät für Psychologie der Sigmund Freud
Privatuniversität
Studienrichtung: Universitätslehrgang Beratungswissenschaften und
Management sozialer Systeme
Studienschwerpunkt: Supervision, Coaching & Organisationsentwicklung
Begutachter/in: Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerhard Benetka
Name Betreuer/in: Dr. Stefanie Granzner - Stuhr
1
ABSTRACT
Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel den Stellenwert der Beratungsformate
Supervision und Coaching im Arbeitsfeld betrieblicher Interessenvertretungen
näher zu beleuchten. Zur Verbreitung der Beratungsformate im Praxisfeld
österreichischer Betriebsräte liegen bislang keine Daten vor. Den Ausgangs-
punkt bildet daher eine österreichweite und branchenumfassende Umfrage
unter Betriebsrät/innen um Daten zum Verbreitungsgrad zu ermitteln. Die
Ergebnisse zeigen, dass die praktische Anwendung von Supervision und
Coaching in der Betriebsratsarbeit schwach ausgeprägt ist und die Beratungs-
formate in der Zielgruppe nur mäßig bekannt sind. Dennoch existiert ein starkes
Interesse an ihnen und es wird ihre Relevanz für das Arbeitsfeld als hoch
eingeschätzt. Im Rahmen von Leitfadeninterviews werden Wirkungen reflexiver
Beratung erforscht. Im Fokus stehen Veränderungen auf personaler Ebene,
Effekte in der Kooperation mit relevanten Umwelten von Betriebsräten sowie
Nebenwirkungen. Die Möglichkeit des Heraustretens aus der beruflichen Rolle,
die Sensibilisierung und Klärung eigener und externer Ansprüche sowie die
Entwicklung geeigneter Strategien der Bewältigung und der Abgrenzung sind
als zentrale Effekte anzuführen. Als wesentliche Wirkung ist auch die
Entlastung in Phasen von Krisen und hohen psychischen Belastungen zu
nennen. Aus den Forschungsergebnissen resultieren folgende Schluss-
folgerungen: In einem Arbeitsfeld, das durch hohe Komplexität, ambivalente
Erwartungshaltungen und ständige Auseinandersetzung mit Konflikten
gekennzeichnet ist, existiert ein hoher Bedarf an reflexions- und
prozessorientierten Beratungsformaten. Ihre Anwendung fördert Schlüssel-
kompetenzen der Betriebsratsarbeit und ist als gesundheitliche Präventiv-
maßnahme in einem sehr belastenden Arbeitsfeld zu sehen. Nicht zuletzt ist auf
das Potential reflexiver Instrumente bei der Neuausrichtung gewerkschaftlicher
Strategie- und Handlungskonzepte in Anbetracht einer sich im Umbruch
befindlichen Arbeitswelt zu verweisen.
2
Inhaltsverzeichnis
Die Beziehung des Autors zum Forschungsgegenstand 4
1. Einleitung 7
2. Das Feld der Betriebsratsarbeit 13
2.1. Der formale Rahmen - "Stellenbeschreibung ArbVG" 15
2.2. Grundlagen der Rolleninterpretation 17
2.2.1. Personale Faktoren 18
2.2.1.1. Kommunikationsfähigkeit 19
2.2.1.2. Lernbereitschaft und Wissensorganisation 21
2.2.1.3. Konfliktfähigkeit 23
2.2.1.4. Regenerationsfähigkeit 24
2.2.2. Externe Faktoren 26
2.2.2.1. Das Management 26
2.2.2.2. Die Belegschaft 28
2.2.2.3. Die Gewerkschaft 30
2.2.2.4. Der Aufsichtsrat 32
2.2.2.5. Das Betriebsratsgremium 33
2.2.3. Die Rollenauslegung 34
2.3. Sozialpartnerschaft 36
2.4. Typische Aufgabenfelder und Problemkonstellationen 39
2.4.1. Vertretungsarbeit 39
2.4.2. Selbstmanagement und Strategiearbeit 42
2.4.3. Führungsarbeit 45
3. Die Beratungsformate Supervision und Coaching 47
3.1. Beratungsverständnis 47
3.2. Funktionen von Beratung im Forschungsfeld 50
3.3. Die Dimension Wirkung in der Forschungsliteratur 52
3.4. Zum Erhebungsverfahren des Phänomens Wirkung 56
3.5. Zum Forschungsstand der Beratungsformate im Feld 59
4. Die Verbreitung der Beratungsformate 64
4.1. Wahl der Methode 64
4.2. Kooperationspartner und Zielgruppe 66
4.3. Beschreibung des Samplings 67
4.4. Entwicklung des Fragekatalogs und des Begleitschreibens 70
4.5. Pretest 72
4.6. Durchführung und Rückmeldung an den Kooperationspartner 73
4.7. Beschreibung der Ergebnisse 74
4.8. Interpretation der Ergebnisse 81
4.9. Verwendung der Ergebnisse 90
3
5. Die Wirkung der Beratungsformate 91
5.1. Wahl des methodischen Verfahrens 91
5.2. Auswahl der Personen 92
5.3. Entwicklung des Leitfadens 94
5.4. Durchführung der Interviews 95
5.5. Transkription 96
5.6. Methode der Auswertung 97
5.7. Beschreibung und Deutung der Ergebnisse 98
5.7.1. Anlässe für Beratung 99
5.7.2. Finanzierung und Zugänge 101
5.7.3. Ziele 103
5.7.4. Wirkungsfelder 104
5.7.4.1. Person 104
5.7.4.2. Management 108
5.7.4.3. Belegschaft 110
5.7.4.4. Betriebsratsgremium 111
5.7.4.5. Organisation und Gewerkschaft 114
5.7.5. Nebenwirkungen 116
5.7.6. Interpretation des Umfrageergebnisses 118
6. Fazit 121
Literaturverzeichnis 126
Abbildungsverzeichnis 132
Anlagen 133
4
Die Beziehung des Autors zum Forschungsgegenstand
Bevor die Forschungsgegenstände theoretisch und empirisch vorgestellt und
untersucht werden, soll im Sinne einer transparenten und nachvollziehbaren
Vorgangsweise die Beziehung zwischen Forschungsobjekt und Forschungs-
subjekt einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
Das Interesse an der Verbreitung und dem Stellenwert der Beratungsformate im
Forschungsfeld beruht auf meinen persönlichen Erfahrungen als Betriebsrat
und Gewerkschafter im Gesundheits-, Sozial- und privaten Bildungsbereich.
Wie der Inhalt der leitenden Forschungsfragen und die persönliche Nähe zu
den Forschungsgegenständen vermuten lassen, wird mit vorliegender Arbeit
auch die Zielsetzung verfolgt die praktische Anwendung reflexiver
Beratungsmodelle in der Betriebsratsarbeit zu thematisieren. Die Grundlage
dieses Interesses bilden einerseits meine positiven Erfahrungen mit den
Beratungsinstrumenten im Laufe meiner Betriebsratstätigkeit und andererseits
die aus meinen Beobachtungen resultierende Einschätzung, dass den
unterschiedlichen Formen reflexiver Beratung in diesem Arbeitsfeld wenig
Beachtung geschenkt wird.
Sollen Erklärungen, Interpretationen und Schlussfolgerungen aus einem
allfälligen Mangel reflexiven Potentials im Feld der betrieblichen und
gewerkschaftlichen Vertretungsarbeit gezogen werden, so sind zunächst
empirisch fundierte Daten zu Verbreitung und Wirkung der Beratungsformate zu
generieren.
Wissenschaftliches Arbeiten erhebt den Anspruch persönliche Meinungen und
Bewertungen weitgehend auszublenden und eine strukturimmanente
Beziehungslosigkeit zu sich und dem Forschungsgegenstand zu konstruieren
(Hausinger, 2007, 53). Dem gegenüber steht meine langjährige, vertraute und
persönliche Verbindung zu den zentralen Themenfeldern vorliegender Arbeit.
Die enge subjektive Verflechtung konstituiert sich konkret anhand dreier aktiv
5
praktizierter Rollen: als Betriebsrat, als Supervision in Anspruch nehmender
Betriebsrat und als Supervisor.
Die evidente Verflechtung zwischen dem forschenden Subjekt und dem
Forschungsfeld wirft die Frage auf, welche Risiken aber auch Möglichkeiten
sich daraus für die wissenschaftliche Bearbeitung ableiten lassen. Folgende
Punkte möchte ich diesbezüglich ins Treffen führen:
Zunächst ist festzustellen, dass sich der Zugang zum Forschungsfeld
und der reibungslose Verlauf der Umsetzung der einzelnen Forschungs-
schritte ohne dieses Nahverhältnis höchstwahrscheinlich schwieriger
gestaltet hätte bzw. in der vorliegender Form nicht möglich gewesen
wäre
Die langjährige Tätigkeit in den Interaktionsräumen von Interessen-
vertretungen verleitet dazu verstärkt persönliche Erfahrungen und
Sichtweisen miteinfließen zu lassen, die subjektive Einfärbungen in der
Darstellungsweise befördern können
Die extensive Praxis als Betriebsrat sowie die in dieser Rolle erfahrenen
Effekte reflexiver Beratung können als reichhaltiger Bestand persönlicher
Erfahrungen gesehen werden und speziell in der Interpretation der
Ergebnisse zu einer Anreicherung von Sichtweisen führen
Die persönliche Involvierung und Vertrautheit mit dem Bezugssystem der
Beforschten legen die Annahme nahe, dass auch eine Reihe blinder
Flecken die Sicht auf das Forschungsfeld kennzeichnen
Aufgrund der beschriebenen Konstellation ergibt sich das Risiko der
Blickwinkelverlagerung im Sinne eines unmerklichen Abgleitens in
Prozesse der Selbstbeforschung
Auseinandersetzung und Wissen über die Verwobenheit von
Forschungssubjekt und Forschungsgegenstand können als ständige
Begleiter wahrgenommen werden, die an die Einhaltung entsprechender
wissenschaftlicher Distanz appellieren
6
Aus den angeführten Punkten kann geschlossen werden, dass der Versuch die
biographischen Begleitumstände im Sinne des Primats wissenschaftlicher
Objektivität weitgehend auszublenden als nicht zielführend erachtet wird.
Einerseits wäre darin ein quasi aussichtloser Versuch zu sehen, da der
Anspruch nach absoluter Objektivität das Subjekt des Beobachters
ausschließt.
1
Andererseits wird davon ausgegangen, dass die Miteinbeziehung
des Erfahrungswissens unter Berücksichtigung einer kritischen selbst-
beobachtenden Haltung auch nutzbringende Effekte zeitigt und als
Bereicherung verstanden werden kann.
Darüber hinaus würde der Versuch der Ausklammerung der subjektiven
Lebens- und Berufswelt dazu führen, den eben daraus rührenden forschenden
Impetus zu verleugnen und eine unverhältnismäßige, geradezu künstliche
Verbindung zwischen Forschungssubjekt und Forschungsgegenstand zu
konstruieren.
1
“Objectivity is a subject´s delusion that observing could be done without him” (von Förster,
2012, 31).
7
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Verbreitung, der Anwendung und der
Wirkung der professionellen Beratungsformate Supervision und Coaching im
Feld der Betriebsratsarbeit. Sie verfolgt das Ziel empirisch fundierte Aussagen
zu folgenden Fragestellungen treffen zu können:
Wie hoch ist der Verbreitungsgrad der Beratungsformate Supervision und
Coaching im Arbeitsfeld von österreichischen Betriebsrät/innen?
Welche Wirkungen zeitigt die Anwendung von Supervision und Coaching auf
die betriebsrätliche Praxis aus der Sicht der Protagonist/innen?
Informationen über den Verbreitungsgrad sollen auf der Grundlage eines
quantitativen Verfahrens erhoben werden. Die Beschreibung der Wirkung von
Beratung erfolgt anhand eines qualitativen Erhebungsverfahrens. Beiden
ähnlich ist die Vorgangsweise die zentralen Fragestellungen in ein größeres
Fragengeflecht einzubetten. Auf diese Weise sollen auch Aspekte und
Zusammenhänge in die Ausführungen miteinbezogen werden, um so ein
möglichst breites Bild vom Stellenwert der Beratungsformate in der
Betriebsratsarbeit zu erhalten.
Die Untersuchungen beziehen sich auf das Feld österreichischer Betriebsräte
2
.
Speziell die Darstellungen der beiden theoretischen Abschnitte stützen sich in
weiten Teilen auf Forschungsarbeiten aus Deutschland, da die Forschungs-
literatur zur österreichischen Betriebsrätelandschaft nicht ausreicht um
grundlegend in die Themenschwerpunkte der beiden Theorieabschnitte
einzuführen. Diese Vorgehensweise erscheint neben ihrer pragmatischen
Notwendigkeit insofern verantwortbar, da Parallelen zwischen beiden Ländern
2
Der Begriff Betriebsrat steht primär für das Betriebsratsgremium und kann sich ebenso auf ein
männliches Betriebsratsmitglied beziehen. Ist explizit von Betriebsratsmitgliedern die Rede
werden diese als Betriebsrät/innen bezeichnet.
8
hinsichtlich der rechtlichen wie praktischen Ausgestaltung betrieblicher
Mitbestimmung vorliegen.
3
Betriebsräte sind die gewählten Vertretungsorgane der Arbeitnehmerschaft in
Betrieben. Sie unterliegen speziellen rechtlichen Bedingungen und haben die
Aufgabe die Interessen der Arbeitnehmer/innen zu vertreten und verfügen über
zahlreiche Rechte der Kontrolle, Mitwirkung und Mitgestaltung betrieblicher
Arbeitsverhältnisse (vgl. 2.1.). Das Arbeitsfeld von Betriebsräten ist folglich von
großer thematischer Vielfalt geprägt. Die ersten Ausbildungsmodule wie die
passende Wahl aus der breiten Palette umfassender Seminarangebote der
Gewerkschaften und Arbeiterkammern bilden die grundlegende Einführung in
die Betriebsratsarbeit. Fachliche Vorbereitung und die laufende Aktualisierung
von Wissen können als Grundbedingungen effizienter Betriebsratsarbeit
angeführt werden. Die umfangreichen Bildungsangebote der einzelnen
Fachgewerkschaften speziell für Betriebsratsmitglieder legen hierfür ein
beredtes Zeugnis ab (vgl. Stadler, 2017, 30-31). Im Gegensatz zur starken
Präsenz von Fachberatung ist über Bedeutung und Gebrauch reflexiver
Beratungsformate im Feld wenig bekannt.
Eine weiterführende, das Forschungsinteresse belebende Überlegung sich mit
Verbreitungsgrad und Wirkung reflexiver Beratung zu beschäftigen, liegt im
spezifischen Arbeitsfeld von Betriebsrät/innen begründet. Die Rollenfindung
gerade am Beginn der Betriebsratslaufbahn, die Übernahme von Führungs-
aufgaben, die Klärung und Gewichtung des Aufgabenbereichs, Strategie- und
Zielplanungen, die immer wiederkehrenden Konfrontationen mit Menschen in
Krisensituationen, das ständige Handling von Konfliktmaterien etc. sind
prägende Erfahrungen und gleichermaßen konstitutive Elemente im Feld der
Betriebsratsarbeit. Es handelt sich hierbei gleichermaßen um berufliche und
soziale Konstellationen, die typische Anlässe und Aufgabenfelder reflexiver
Beratungsformate darstellen. So zielt die Anwendung reflexiver Beratung in
3
Zum Vergleich der politisch - organisatorischen Strukturen von Arbeitnehmervertretungen der
beiden Länder: https://www.etui.org/ReformsWatch/Germany/Industrial-relations-in-Germany-
background-summary [Zugriff: 24.7.2018]
9
ihren konkreten Settings von Supervision und Coaching darauf ab Selbst-
reflexion anzuregen, das Erkennen und das Nutzen persönlicher Ressourcen
zu fördern, Lernprozesse in Gang zu setzen und in Phasen hoher beruflicher
Beanspruchung Entlastung zu ermöglichen (vgl. Bellardi, 2013, 60-70).
Zur Verbreitung besagter Beratungsformate in der österreichischen Betriebs-
rätelandschaft liegen bisher keinerlei Untersuchungen vor (vgl. 3.5.). Ein
dezenter Hinweis über das mögliche Vorhandensein reflexionsorientierter
Anteile im Rahmen von Betriebsratsschulungen findet sich in einer Studie der
Arbeiterkammer (AK) (vgl. Stadler, 2017, 30), die unter anderem die zeitlichen
und finanziellen Ressourcen für Weiterbildung von Betriebsräten erhebt. Nicht
erhoben wurde dabei jedoch der konkrete Bedarf der Zielgruppe (2017,28).
Keinerlei Rückschlüsse lassen sich auf die Anwendung der Beratungsformate in
der Betriebsratsarbeit ziehen. Zum Bedarf der Beratungsformen im Arbeitsfeld
betrieblicher Interessenvertretungen in Österreich liegen Untersuchungen vor,
die sich jedoch auf eine schmale empirische Basis stützen (vgl. Formann, 2011,
168) und keine Informationen über ihre Verbreitung im Feld beinhalten.
Es liegt folglich nahe die persönlichen Einschätzungen des Autors (vgl.
Vorbemerkung), die sich vorwiegend auf Erfahrungen aus dem Gesundheits-,
Sozial- und Bildungsbereich stützen, einer wissenschaftlichen Überprüfung zu
unterziehen und hierbei das Blickfeld auf ein möglichst breites Branchen-
spektrum zu erweitern (vgl. Kap. 4). Das Forschungsinteresse gilt zunächst der
Inanspruchnahme bestimmter Beratungsformate, die explizit im Zuge der
Funktionsausübung erfolgen und sich auf diese beziehen. Um hierfür eine
geeignete Datenbasis zu erhalten, wurde das quantitative Verfahren der
computerunterstützten Befragung gewählt. Durch diese Verfahrensweise kann
ein großer Personenkreis unkompliziert und ohne großen Aufwand erreicht
werden. Das Verfahren gewährt Anonymität, die Botschaft erscheint bei
vertrautem Absender unaufdringlich in der Sphäre der befragten Person und
kann zeitlich flexibel beantwortet werden. Aus diesen unverbindlichen
10
Rahmenbedingungen resultiert aber auch der Nachteil der geringen
Rücklaufquote.
Eine differenzierte Darstellung der Verbreitung der Formate soll durch die
Verknüpfung mit soziodemographischen Daten gewonnen werden, in dem der
Personenkreis mit einschlägiger Beratungserfahrung nach den Kriterien von
Geschlecht, Alter, Dienstjahren, Bundesland und Branche beschrieben wird.
Zusätzliche Informationen zum Stellenwert der Beratungsformen sollen durch
Zusatzfragen zum Bekanntheitsgrad, zum Interesse und zur Einschätzung der
Bedeutung der Beratungsformen für die Betriebsratsarbeit erhoben werden.
Eine wichtige Vorbedingung für die Aussagekraft und den allfälligen Wert
vorliegender Arbeit stellt die Zusammenarbeit mit einer am Forschungsanliegen
interessierten und über relevante Basisdaten verfügende Institution dar. Hierfür
konnte die Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien als Kooperationspartnerin
gewonnen werden, die die Basis hinsichtlich qualitativer und quantitativer
Kriterien der Stichprobe gewährleistete und den technischen Zugang zu
Erstellung und Ergebnisanalyse der Umfrage bereitstellte. Wenn hier von
Institutionen und Abteilungen die Rede ist, so läuft es letztendlich auf die
Zusammenarbeit mit Menschen hinaus, die wesentliche Inputs lieferten und die
Organisation der Befragung unkompliziert und professionell unterstützten.
Im Zuge der Durchführung der Umfrage galt es Personen mit einschlägiger
Beratungserfahrung zu eruieren und r ein Interview zu gewinnen. Auf der
Grundlage von fünf teilstrukturierten Leitfadeninterviews sollen primär Effekte
von Supervision und Coaching auf die Betriebsratsarbeit untersucht werden.
Neben dem zentralen Erkenntnisinteresse nämlich nach der Wirkung reflexiver
Beratung auf Praxisfelder der Betriebsratsarbeit sollen in diesen Gesprächen
auch Informationen zu Anlässen, Zugängen und Finanzierung von Beratung
erhoben werden (vgl. Kap. 5).
11
Im Vorfeld der zwei empirischen Abschnitte wird in die betriebsrätliche Praxis
eingeführt (vgl. Kap. 2). Es werden in komprimierter Form die besonderen
Merkmale des Arbeitsfeldes herausgearbeitet und im Lichte möglicher
Problemlagen sowie inhärenter Belastungsphänomene dargestellt. Es werden
personale Faktoren untersucht, die die Bewältigung der typischen
Arbeitsanforderungen begünstigen sowie die relevanten Umwelten (Belegschaft,
Geschäftsführung, Gewerkschaft etc.) einschließlich der eng damit
zusammenhängenden oftmals ambivalenten Erwartungshaltungen an
Betriebsräte. Aus den Komponenten der jeweiligen inneren Disposition und den
von Außen herangetragenen Erwartungen sollen Aspekte der Entwicklung und
Gestaltung der beruflichen Rolle analysiert werden. Auch wird die Entwicklung
typischer Verhaltensweisen und Haltungen von Betriebsrät/innen beschrieben,
die durch gewerkschaftliche Sozialisierung sowie durch Einflüsse sozial-
partnerschaftlicher Praktiken vermittelt werden.
Das dritte Kapitel führt das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis der
Beratungsformate aus. Anstelle einer bestimmten Schule oder Beratungs-
richtung wird von einem sehr breit gefassten Beratungsverständnis
ausgegangen. Anwendungsaspekte von Supervision und Coaching sollen in
Hinblick auf die spezifischen Bedingungen und Anforderungen des Berufsfelds
vorgenommen werden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf einer möglichst
klaren Unterscheidung zwischen Fachberatung und prozess- bzw. reflexions-
orientierter Formate.
Auch muss das Vorhaben der Wirkungserkundung unter den hier
beschriebenen Rahmenbedingungen einer kritischen Betrachtung unterzogen
werden. In diesem Abschnitt werden unterschiedliche Ansätze in der Wirkungs-
forschung von Supervision und Coaching dargestellt. Abschließend erfolgt ein
Überblick über die Forschungsliteratur zum Thema reflexiver Beratungsformen
in der Betriebsratsarbeit.
12
Das Schlussresümee diskutiert die aus den Verfahren extrahierten Ergebnisse
und Erkenntnisse im Hinblick auf die praktische Bedeutung für das Arbeitsfeld.
13
2. Das Feld der Betriebsratsarbeit
Bei der Praxis der Betriebsratsarbeit handelt es sich um ein ausgesprochen
vielfältiges Aufgaben- und Tätigkeitsfeld. Gerade diese Vielfalt an
Aufgabenstellungen und Handlungsmöglichkeiten ist zugleich ein Marken-
zeichen von Betriebsratsarbeit. Der Aktionsrahmen wird durch die sich weithin
erstreckenden Interpretationsspielräume des Arbeitsverfassungsgesetzes
(ArbVG) vorgegeben, in welchem Befugnisse und Mitwirkungsrechte in sozialen,
personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten definiert werden. Es bedarf in
der Folge stets einer spezifizierten Auslegung und Eingrenzung des
Tätigkeitsbereichs unter Berücksichtigung und gleichermaßen Vorgabe
divergierender Bedingungen sowohl auf Branchen- wie Unternehmensebene.
Becksteiner, Steinklammer & Reiter ergänzen diese Ebenen noch um jene der
Makropolitik, die als "zentrale Referenzfolie" für die "Praxen auf den anderen
Handlungsebenen" verstanden wird mit der Konsequenz, dass die
Protagonist/innen auf betrieblicher Ebene gewissen Kontroll- und
Steuerungsmechanismen der ihnen übergeordneten Ebenen ausgesetzt sind
(2010, 61). Betriebsratsarbeit unterliegt demzufolge nicht nur dem internen
betrieblichen Spannungsfeld, das in diesem Abschnitt noch eingehend erläutert
werden soll, sondern ist auch immer als Teil einer horizontalen Anordnung
institutioneller Interessenvertretung zu sehen, deren Aus- und Wechsel-
wirkungen hier auch berücksichtigt werden sollen (vgl. Funder, 2010, 530).
Eine zusätzliche Dynamik erhält der Arbeitsbereich durch beträchtliche
Veränderungen der Arbeitswelt: sei es die Intensivierung moderner
Informations- und Kommunikationstechnologien, die wiederum zu verstärkter
Flexibilisierung räumlicher und zeitlicher Arbeitsstrukturen führen und stetig
höhere Anforderungen an die Leistungsfähigkeit von Organisationen und
Arbeitnehmer/innen stellen (vgl. Funder, 2010, 534); sei es durch globale
Konzernstrategien, deren Entscheidungen sich dem Verständnis gemeinhin
anerkannter, rational marktwirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten entziehen und so
zu einem unberechenbaren Faktor im Arbeitsverhältnis werden (vgl. Funder,
14
2010, 531); sei es durch die Einführung neuer Managementkonzepte, die an
Stelle betrieblicher Kontroll- und Disziplinierungsregulative die Aktivierung
selbstdisziplinierender Mechanismen setzen mit dem Ziel die subjektive
Leistungsbereitschaft von Arbeitnehmer/innen zu erhöhen (vgl. Marrs, 2010,
393-343) oder sei es durch die Erosion traditioneller Arbeitsverhältnisse, die
sich in der Zersplitterung von Belegschaften in diverse Kategorien von
Arbeitnehmer/innnen manifestiert (Leiharbeit/innen, Fremdpersonal,
Werkvertragsnehmer/innen etc.) (vgl. Köhler, Krause, 2010, 395-397).
Wie immer diese Zeichen des Wandels von Arbeitnehmer/innen erlebt und
gedeutet werden, sie wirken unmittelbar auf Arbeitsbedingungen und
Arbeitsverhältnisse, deren Vorboten und erste Anzeichen frühzeitig in
Betriebsratssphären eintreffen. Für Tietel resultiert aus dem Wandel
betrieblicher Arbeitsbeziehungen "eine enorm gewachsene Komplexität mit
einer ganzen Reihe von widersprüchlichen Anforderungen, Dilemmata und
Paradoxien, die nicht nur die einzelnen Betriebsräte und Betriebsrätinnen vor
immense Herausforderungen stellen, sondern nicht selten das ganze
Betriebsratsgremium einer Zerreißprobe aussetzen" (2008, 6). Diesen
Phänomenen der Veränderung und ihren Folgen sind Betriebsrät/innen in
zweifacher Weise ausgesetzt: einerseits aufgrund ihrer Funktion als
Interessenvertreter/innen um bei ihrer Gestaltung und Einordnung in
betriebliche Strukturen mitzuwirken und andererseits als unmittelbar Betroffene
ihres persönlichen Arbeitsbereichs. Die hier nur angedeuteten Dynamisierung
der Arbeitswelt und das im Weiteren zu explorierende, außerordentlich
vielfältige Arbeitsfeld von Betriebsrät/innen erfordern die laufende Anpassung
von Arbeitsstrukturen an neue Bedingungen und die Entwicklung neuer
Handlungsoptionen.
Ziel dieses Kapitels ist es, die wesentlichen Aufgabenbereiche und typischen
Herausforderungen des betriebsrätlichen Arbeitsfelds herauszuarbeiten und
aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Es sollen aber auch habituelle
Veränderungen beschrieben werden, die infolge einer sozialstrukturellen
15
Neupositionierung mit der Übernahme und dem Hineinwachsen in die
Betriebsratsfunktion einhergehen.
Die inhaltliche Orientierung erfolgt entlang folgender Fragestellungen:
Wer und was definiert Betriebsratsarbeit und welche betrieblichen und
überbetrieblichen Akteur/innen beeinflussen ihre Ausrichtung und Inhalte?
Welche persönlichen Fähigkeiten erhöhen die Wahrscheinlichkeit effizienter
Betriebsratsarbeit?
Inwiefern prägen sozialpartnerschaftliche Gepflogenheiten betriebsrätliches
Handeln?
Welche typischen Aufgabenfelder und klassischen Problemkonstellationen
können angeführt werden?
Welche Merkmale können hinsichtlich wirksamer Betriebsratsarbeit genannt
werden?
2.1. Der formale Rahmen - "Stellenbeschreibung Arbeitsverfassungsgesetz"
Bevor hier auf wichtige Mitspieler am Feld der Betriebsratsarbeit eingegangen
wird, soll ein Blick auf den formalen Rahmen des betriebsrätlichen Aktions-
radius geworfen werden, der insbesondere im Teil II der Betriebsverfassung, 3.
Hauptstück in den Abschnitten 1 bis 4 § 89 112) des ArbVG dargelegt ist.
Diese Bestimmungen stellen gewissermaßen die legistische Stellen-
beschreibung dar.
Ein Betriebsrat ist in Betrieben ab fünf Arbeitnehmer/innen 50 Abs.1) für die
Dauer von fünf Jahren von den Arbeitnehmer/innen des Betriebs zu wählen (§
61 ArbVG, Abs.1). Der Betriebsrat bzw. das Betriebsratsgremium hat die
Stellung eines Kollegialorgans, Entscheidungen werden folglich in Form von
Mehrheitsbeschlüssen im Gremium getroffen 68 ArbVG). Die Anzahl der
Betriebsratsmitglieder ist abhängig von der Anzahl der im Betrieb beschäftigten
Arbeitnehmer/innen 50 ArbVG). Der Betriebsrat hat die Aufgabe auf
16
Grundlage seiner Überwachungs-, Interventions-, Informations- und zahlreichen
Mitwirkungsrechte die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und
kulturellen Interessen der Arbeitnehmer/innen im Betrieb wahrzunehmen und
zu fördern (§ 38 ArbVG) und einen Interessenausgleich herbeizuführen im
Sinne der Arbeitnehmer/innen und des Betriebs (§ 39 ArbVG).
Ein zentrales Gestaltungselement (§§ 29-32 ArbVG) besteht darin bestimmte
Rechtsmaterien innerbetrieblich durch den Abschluss von Betriebsverein-
barungen zu regeln (§§ 96-97 ArbVG). Darüber hinaus gehende Rechts-
materien (Zusatzurlaub, Entgeltregelungen, Aufwandsentschädigungen etc.)
können in Form von fakultativen Betriebsvereinbarungen festgelegt werden.
Die Betriebsratsfunktion ist ein Ehrenamt und ist neben den Berufspflichten
auszuüben 116 ArbVG). In Betrieben mit über 150 Arbeitnehmer/innen hat
das Betriebsratsgremium das Recht ein Mitglied von der Arbeitsleistung
freizustellen, so dass die vereinbarte Arbeitszeit ausschließlich für Vertretungs-
tätigkeit verwendet werden kann. Ab 700 Arbeitnehmer/innen sind es zwei, ab
3000 können drei Betriebsratsmitglieder freigestellt werden 117 ArbVG).
Es ist ausdrücklich hervorzuheben, dass, wenn im Folgenden von
Betriebsrät/innen bzw. Betriebsratsmitgliedern die Rede ist, es sich um zwei
Kategorien von Funktionär/innen handelt, die über sehr unterschiedliche
Ressourcen für ihre Tätigkeit verfügen: und zwar erstens um Betriebsrats-
mitglieder, die im Rahmen bzw. neben ihrer beruflichen Tätigkeit ihre Funktion
als Betriebsrat/rätin ausüben und zweitens um Betriebsratsmitglieder, die von
ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt ihre Vertretungsfunktion ausüben.
Wenngleich die Differenzierung zwischen den freigestellten und dem Gros der
nicht freigestellten Betriebsrät/innen in der Praxis nicht immer eindeutig ist (vgl.
4.3.), so spielen diese unterschiedlichen Arbeitsvoraussetzungen eine wichtige
Rolle und wirken sich auf die Gruppendynamik in Betriebsratskörperschaften
aus.
17
2.2. Grundlagen der Rolleninterpretation
Die ersten Schritte ins Praxisfeld erfolgen am Beispiel der Rollengestaltung von
Betriebsrät/innen. Gestaltung und Entwicklung beruflicher Rollen basieren
neben den eben erwähnten kategorialen Zuordnungen (freigestellt/ nicht
freigestellt) zum einen auf dem Wissen, den Fähigkeiten und den Einstellungen
der agierenden Individuen und zum anderen aus divergenten Erwartungs-
haltungen von Akteur/innen in der Umwelt von Betriebsräten. Aus dem
dynamischen Zusammenspiel individueller Anteile (vgl. 2.2.1.) und externer
Verhaltenserwartungen (2.1.2.) resultiert die berufliche Rolle oder vielmehr ein
Set an Rollen (vgl. Kotthoff, 1981, 34), das einem fortlaufenden Anpassungs-
prozess unterworfen ist. Dieser Anpassungsprozess äußert sich in der
Entwicklung individueller Verhaltens- und Handlungsweisen als bewusste oder
unbewusste Reaktion auf sich verändernde Umweltbedingungen. Die
permanenten äußeren Veränderungen sowie die dadurch angeregte
Entwicklung individueller Anpassungsmechanismen bedingen eine große
Bandbreite von Rolleninterpretationen.
Akzentuierte Ausformungen aus dem Zusammenspiel individueller und
organisationaler Wirkmächte finden in der von Kotthoff getroffenen Typologie
betriebsrätlicher Partizipationsmuster ihren Niederschlag. Er unterscheidet
sechs typische Erscheinungsformen betriebsrätlicher Repräsentanz, die hier vor
allem die Bandbreite andeuten sollen ohne auf ihre konkrete Ausgestaltung
einzugehen:
Der ignorierte Betriebsrat
Der isolierte Betriebsrat
Der Betriebsrat als Organ der Geschäftsleitung
Der respektierte zwiespältige Betriebsrat als Ordnungsfaktor
Der respektierte standfeste Betriebsrat
Der Betriebsrat als kooperative Gegenmacht
18
Maßgeblich für die Differenzierung der Erscheinungsformen betriebsrätlicher
Repräsentanz sind das Ausmaß an Partizipation und Vertretungswirksamkeit.
Arbeitnehmervertretungen agieren im Spannungsverhältnis zwischen
Management und Belegschaft. Von diesen bedeutenden Mitspieler/innen in der
Umwelt von Betriebsräten werden unterschiedliche mitunter diametral
entgegengesetzte Erwartungen an sie herangetragen. Die Erwartungshaltungen
unterliegen der jeweiligen betrieblichen Entwicklungshistorie der
Interessenvertretung, ihrer Präsenz, ihres Einflusses, ihrer Durchsetzungskraft
und den aktuellen betrieblichen Gegebenheiten. Betriebsratskulturen entwickeln
sich in Wechselwirkung mit den betrieblichen Akteur/innen und sind in den
unterschiedlichsten Variationen anzutreffen (Trinczek, 843). Das Spektrum ihrer
Ausprägungen reicht von unter der Wahrnehmungsgrenze agierenden,
"´defizienten´ Formen der Partizipation" (Kotthoff, 1981, 255) bis hin zu
omnipotenten, in alle relevanten Unternehmensentscheidungen eingebundenen
Formen der Mitbestimmung (vgl. Kotthoff 1981, 255).
2.2.1. Personale Faktoren
Vorweg ist festzuhalten, dass in diesem Abschnitt keineswegs auf die
Konstruktion einer idealtypischen Persönlichkeitsstruktur von Betriebsrät/innen
abgezielt wird, da allein die Vielfalt möglicher Aufgabenstellungen und daraus
folgender, potentieller Handlungsoptionen einer Komplexität entspricht, die nicht
durch ein bestimmtes Persönlichkeitsmodell abgedeckt werden kann.
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dem vielgestaltigen gesetzlichen
Aufgabenbereich von Interessenvertretungen (vgl. 2.1.) immer nur partiell
begegnet werden kann. Zweifellos können aber Eigenschaften und
Einstellungen diskutiert werden, die die Wahrscheinlichkeit wirksamer
Betriebsratsarbeit erhöhen.
19
Erfolgt die Orientierung an den beiden letztgenannten Ausformungen der
Typologie Kotthoffs als effiziente Modelle betrieblicher Mitbestimmung, so wirft
sich die Frage auf, welche individuellen Dispositionen hierfür als förderlich
genannt werden können. Mit der Übernahme einer Vertretungsfunktion betreten
Betriebsrät/innen ein Praxisfeld, das auch eine Neuausrichtung der sozialen
Positionierung im betrieblichen Gefüge zur Folge hat. Die exponierte soziale
Position, der fachlich anspruchsvolle und gleichermaßen vielfältige Aufgaben-
und Verantwortungsbereich sowie die regelmäßige Konfrontation mit
schwierigen Situationen bilden die essentiellen Rahmenbedingungen im
Arbeitsfeld von Betriebsrät/innen. Die folgenden Darstellungen stellen den
Versuch dar die Anforderungen an betriebsrätliches Handeln systematisch
anhand von vier Schlüsselkompetenzen zu beschreiben.
2.2.1.1. Kommunikationsfähigkeit
Die transparente, zeitgerechte und kontinuierliche Kommunikation in all ihren
Variationen einschließlich non - verbaler Formen sichert die Verbindung zur
Belegschaft. Das Nahverhältnis ermöglicht das Ausloten von Stimmungslagen,
das Knüpfen vertrauensvoller Beziehungen zu einzelnen Kolleg/innen
unterschiedlicher Arbeits- und Hierarchieebenen, die zu wechselseitig
stärkenden persönlichen Verbindungen hren und mitunter wertvolle
betriebliche Detailansichten eröffnen. Die professionelle, dialogorientierte
Umgangsweise mit den unterschiedlichen Akteuren" kann als zentrale
Anforderung an die betriebsrätliche Praxis gesehen werden (Formann, 2011,
49).
Die Vielfalt an Kommunikationsebenen und die daraus resultierenden
unterschiedlichen Formen von Kommunikation erfordern ein planvolles
Vorgehen: eine systematische Verankerung von Kommunikationsprozessen
und der überlegte, (teil-) institutionalisierte Einsatz ausgewählter
Kommunikationsmedien unter der immer wieder neu abzustimmenden
20
Prämisse, wer ist wann wie worüber zu informieren stellen grundlegende
Komponenten betriebsrätlicher Kommunikationsgestaltung dar. Neben der
Gestaltung formaler Kommunikationsprozesse ist die Relevanz informeller
Kommunikation für das Schaffen von vertrauensvollen Beziehungen von
herausragender Bedeutung (Polzer, 2002, 147).
Die Heterogenität der Gesprächspartner/innen sowie die stark divergierenden
Gesprächskonstellationen erfordern flexible und vielfältige Kommunikations-
fähigkeiten. Einfühlungsvermögen in das jeweilige Gegenüber, eine gewisse
Sensibilität für bestimmte Gesprächssituationen und der vertrauensvolle
Umgang mit heiklen Informationen können als wichtige Qualitäten der
Beziehungsgestaltung genannt werden. Kotthoff sieht die Beziehungsgestaltung
von Betriebsrät/innen als software des Betriebs und als ureigenes, ihm
institutionell angestammtes Feld, in dem er große Qualitäten besitzt (2011,
428).
Betriebsrät/innen werden von Arbeitnehmer/innen aufgesucht, die sich in
Krisenlagen befinden und Hilfestellungen erwarten. Abmahnungen und
Degradierungen gehen oft mit persönlichen Kränkungen einher, Kündigungen,
Entlassungen, Unfälle und Erkrankungen stellen bisweilen nicht nur persönliche,
sondern auch existentielle Bedrohungen dar. Neben den formalen
Vertretungsaufgaben, deren Aussicht auf Erfolg in vielen dieser Fälle eher
gering bemessen ist, fällt Betriebsrät/innen oft auch die Rolle der persönlichen
und menschlichen Begleitung zu. Mitunter verleiten solche Ausnahme-
situationen zur Übernahme von Aufgaben, für die weder Ressourcen noch
ausreichendes Wissen vorhanden sind (vgl. Becksteiner et al., 2010, 252-253).
Polzer spricht in diesem Zusammenhang vom Betriebsrat als "Gefühle
Manager" und betrieblichen Experten des Sozialsystem, der sich im
Zusammenhang mit Veränderungsprozessen zunehmend mit Aufgaben
konfrontiert sieht die Gefühllagen in der Belegschaft zu absorbieren und zu
bearbeiten (2002, 197).
21
Für den Mikrokosmos Betrieb gelten die Gesetzmäßigkeiten öffentlicher
Kommunikation. Es reicht daher nicht gesetzte Ziele zu realisieren und als
Erfolg zu verbuchen, sondern es ist auch die geeignete Form der Mitteilung an
die jeweiligen betrieblichen Adressat/innen zu bedenken. Das Gespräch in den
unterschiedlichsten Spielarten und der vertrauensvolle und dennoch effiziente
Umgang mit sensiblen Informationen stellen hohe Anforderungen an das
Kommunikationsgeschick von Betriebsrät/innen. Das Beherrschen mannig-
faltiger Kommunikationssituationen bildet die Voraussetzung für die
"Organisation von Vertretungsmacht des Betriebsrats" die größtenteils auf der
"Organisation der Informierung und Kommunikation zwischen ihm und der
Belegschaft" beruht (Kotthoff, 1981, 265).
Auch in der Beziehungsgestaltung zum Widerpart Geschäftsleitung fungiert
Kommunikation als Zentralschlüssel um eine tragende vertrauensvolle
Verbindung zu etablieren ohne die effiziente Mitbestimmung nicht denkbar ist
(Kotthoff, 1981, 30). Gespräche mit allen betrieblichen und außerbetrieblichen
Akteur/innen prägen nicht nur den Arbeitsalltag von Betriebsrät/innen, sondern
dienen als elementares Mittel der Beziehungsgestaltung (Becksteiner et al.,
2010, 198).
2.2.1.2. Lernbereitschaft und Wissensorganisation
Die Dichte und die Ausgestaltung des sozialen Netzwerks von Betriebsrät/innen
korrespondiert mit potentiellen Informations- und Wissensvorteilen. Kontakte zu
Expert/innen in wesentlichen Institutionen (Abteilungen in Gewerkschaft und
Kammern, Arbeitsmarktservice, Sozialversicherungsträger, Ministerien etc.)
bürgen für die unkomplizierte Beschaffung von Informationen und ermöglichen
rasches und sicheres Agieren.
Neben dem Aufbau eines externen Informationsnetzwerkes sind Entwicklung,
Gestaltung und Pflege von Strukturen für das kontinuierliche Generieren
22
internen Wissens von essentieller Bedeutung. Im Falle einer entsprechend
koordinierten und effizienten betriebsrätlichen Verankerung im betrieblichen
Gefüge bietet sich die Chance durch das systematische Sammeln, Gewichten,
Aktualisieren, Verknüpfen und Verwerfen von Informationen eine exklusive
Position innerbetrieblichen Wissens zu etablieren. Gezielter Austausch und
Organisation von Wissen kann so insbesondere innerhalb von Betriebsrats-
körperschaften eine hohe Qualität erreichen. Gelingt es dem Betriebsrat unter
dem Selbstverständnis bestmöglicher Repräsentanz Aufgaben arbeitsteilig zu
organisieren, Stärken und Kompetenzen bewusst einzusetzen und individuelle
Wissensstände zu verknüpfen, so potenziert sich die Wirkmacht betrieblicher
Interessenvertretungen.
Neben einem hohen Maß an Lernbereitschaft ist die Entwicklung sozialer
Kompetenzen für Betriebsratsarbeit von hoher Bedeutung. Die damit eng
verknüpfte allgemeine Reflexionsfähigkeit hinsichtlich der Beziehungs-
gestaltung in Bezug auf die relevanten Akteur/innen stellt eine weitere
Herausforderung dar (vgl. Formann, 2011, 162-164). Becksteiner et al.
unterscheiden unter Bezugnahme auf Holzkamp zwei Arten des Lernens. Das
defensive Lernen, im Rahmen vertrauter und anerkannter Praxen, das lediglich
Anpassungen in Sphären des Gewohnten und Bestehenden bewirkt und
zweitens die offensive Ausrichtung des expansiven Lernens, das imstande ist
durch das Einziehen einer Reflexionsschleife neuartige Handlungsoptionen
hervorzubringen (vgl. Holzkamp, 1995, 191; zit. n. Becksteiner et al., 2010, 76-
77). Die (Weiter-) Entwicklung von Reflexionsfähigkeit ist gerade in Anbetracht
der Gestaltung vielfältiger Beziehungen, der Planung strategischer Prozesse
sowie bei der Ausbildung persönlicher Abgrenzungstechniken als wichtig
einzuschätzen. Da wie bereits gezeigt wurde auch das Standardrepertoire
betriebsrätlichen Wissens über eine beträchtliche Breite verfügt ist der Variante
defensiven Lernens ebenfalls eine große Bedeutung beizumessen.
Selbstreflexion im Feld betriebsrätlicher Praxis ist insofern von essentieller
Bedeutung, da sie die Grundvoraussetzung darstellt um einen eigenen
23
Arbeitsstil entwickeln zu können, der im Einklang mit individuellen Fähigkeiten,
Bedürfnissen und dem Bewusstsein von Stärken und Schwächen steht.
Betriebsratsarbeit beruht in hohem Maße auf der Selbstorganisation von
Arbeitsstrukturen, konkreter Arbeitsaufgaben und der ständigen Entwicklung
und Adaption von Rollenmustern. Durch das Schaffen reflexiver Interaktions-
formen und das Kultivieren von Selbsttechniken der Reflexion, der
Distanzierung, des Perspektivenwechsels etc. können neues Wissen generiert
und persönliche Schutzmechanismen ausgebildet werden.
Als eine bedeutsame Variante expansiven Lernens kann in Anlehnung an
Kotthoff auch die Ausbildung und Etablierung alternativer Deutungsmuster
genannt werden, um der "Unabdingbarkeit" unternehmerischer Erklärungs-
modelle zu begegnen. Lernprozesse erweitern Denk- und Sichtweisen und
verhindern so das gedankenlose "Eintauchen und Mitmachen in eine
Perspektive, in der die Dinge Bedeutung erhalten durch ihre Faktizität [...] Ein
Mindestmaß an Distanzierung zu und Abstraktion von der lokalen, partikularen
Welt ist nötig, um Kriterien für ihre Beurteilung zu finden" (1981, 258).
2.2.1.3. Konfliktfähigkeit
Nach Kotthoff gehört das Beherrschen des Widerspruchs zur Grundausstattung
des betriebsrätlichen Handlungsrepertoires. Erkennen sich Geschäftsleitung
und Betriebsrat in ihrer jeweiligen Position samt divergierenden Interessenlagen
an, so beruht ein solches Verhältnis in der Regel auf einer Konflikthistorie. Die
Herstellung einer symmetrischen Arbeitsbeziehung zur Geschäftsleitung wird
der betrieblichen Interessenvertretung - wie Kotthoff am Beispiel des
respektierten und standfesten Betriebsrats ausführt - nicht am goldenen Teller
serviert, sondern beruht auf einer Geschichte von zahlreichen, mitunter intensiv
ausgetragenen Auseinandersetzungen zwischen den betrieblichen
Sozialpartner/innen (vgl. 1981, 210). Dieser auszutragende Prozess der
24
Konstituierung eines ausgewogenen Machtverhältnisses stellt die Grundlage für
konstruktive Kooperation dar.
Um die Fähigkeit für und das Veränderungspotenzial von Konflikten zu nutzen
können eine Neubewertung der sozialen Situation "Konflikt" ins Treffen geführt
werden.
4
Auch mittels eingehender Fallbegleitung können grundlegende
theoretische Kenntnisse sowie methodische Konzepte vermittelt werden, die die
Konfliktfähigkeit von Betriebsräten erhöhen (vgl. Kunkel-van Kaldenkerken et al.,
2011, 59-84). Die konsensuale Abstimmung über Diagnose und
Bearbeitungsprozesses des Konflikts, die Sicherung einer angemessenen
Kommunikationsqualität sowie die Verhandelbarkeit von Machtfragen werden
hierbei als wichtige Erfolgsfaktoren angeführt (2011, 70).
Eine positive, bejahende Beziehung zu Konflikten ist für die Praxis
konsequenter Interessenvertretung jedenfalls als vorteilhaft zu betrachten, da
Unternehmen laufend Veränderungen unterworfen sind und diese durch
Betriebsrat und Management in vielen Fällen unterschiedlich wahrgenommen
und gedeutet werden. Es ist zu vermuten, dass sich voneinander abweichende
Sichtweisen auch in divergenten Meinungen und Handlungen manifestieren, die
die Grundlage für Konflikte bilden. Begegnen sich die Akteur/innen bei ihrer
Austragung auf einer Ebene in wechselseitiger Anerkennung ihrer
unterschiedlichen Funktionen, so können Lösungen sachbezogen getroffen und
beziehungsdynamische Irritationen vermieden werden.
2.2.1.4. Regenerationsfähigkeit
Aus den bisher dargestellten Einblicken in die Arbeitswelt von Betriebsrät/innen
resultiert, dass die Auseinandersetzung mit adäquaten Formen des Ausgleichs
und der Erholung besondere Aufmerksamkeit verdient. Es soll hier nicht für eine
4
"Konflikte genießen einen ausgesprochen schlechten Ruf" und verfügen über ein hohes
konstruktives Potential (vgl. Simon, 2015,10)
25
bestimmte Form plädiert werden, vielmehr geht es um das bewusste Einrichten
von Räumen und Auszeiten als fester Bestandteil einer längerfristig angelegten
Gestaltung qualitativer Arbeitsprozesse. Sowohl die autonome Stellung von
freigestellten als auch die geringen Ressourcen nicht freigestellter
Betriebsrät/innen erfordern einen achtsamen Umgang mit individuellen
Möglichkeiten und eigenverantwortliches Handeln.
Das vorsätzliche Herstellen und die feste Implementierung von Erholungs- und
Entspannungspraktiken sollen als konstitutive Bestandteile eines fortlaufenden
Prozesses der Selbstfürsorge angeführt werden. In Anlehnung an die im
Hochleistungssport eingesetzte Methode der lohnenden Pause, die nach
Phasen hoher Belastungsintensitäten bewusst eine Phase der generellen
Erholung durch Nullleistung vorsieht, ist die systematische Planung von
Regenerationszeiten und die individuelle Festlegung von Erholungsformen als
Qualität sichernde Maßnahme zu klassifizieren (vgl. Jost, 1999, 84 u. 101).
Insbesondere Betriebsräte, die fest und über einen längeren Zeitraum im
Unternehmen verankert sind, können die Organisationskultur stark beeinflussen.
Ihnen obliegen Möglichkeiten sowohl aufgrund ihres funktionalen Verhaltens
wie zum Beispiel durch eindeutige Positionierungen, Kommentierungen oder
das Forcieren konkreter Maßnahmen als auch durch persönliche
Verhaltensweisen betriebliche Werte- und Handlungsmuster zu etablieren.
Solche repräsentative Handlungen können in alltäglichen Praktiken vorgestellt
und vorgelebt werden. Als Beispiele hierfür können genannt werden: der
zeitgerechte und vollständige Konsum von Urlaub, die konsequent praktizierten
Trennung von Arbeits- und Freizeit, der Umgang mit Informations- und
Kommunikationstechnologien etc. Darüber kann die Initiierung
programmatischer Aktionen gesundheitsförderliche Maßnahmen (Betriebliche
Gesundheitsförderung, professionelle Auseinandersetzung mit der Evaluierung
psychischer Belastungen, aktive Kooperation mit betrieblichen
Präventionskräften etc.) angeführt werden, die dem Aufgabenbereich von
Betriebsräten explizit zugeordnet werden können (§ 97, Abs.1, 6a, 8 ArbVG).
26
2.2.2. Externe Faktoren
Als wesentliche Umweltgrößen werden in der Beforschung betrieblicher
Interessenvertretungen das Management, die Belegschaft und die
Gewerkschaft identifiziert (vgl. Tietel, 2008, 7). Diese werden im folgenden
Abschnitt um den Aufsichtsrat und das Betriebsratsgremium ergänzt. In
bestimmten betrieblichen Konstellationen nehmen gerade freigestellte
Betriebsrät/innen eine weitgehend autonome Position ein und agieren in vielen
Belangen abgekoppelt vom Betriebsratsgremium, so dass dieses Subsystem
als eigenständige Umweltgröße wahrgenommen wird (vgl. 2.2.2.5.). Ist ein
Aufsichtsrat eingerichtet, so wird diesem Gremium aufgrund seiner klaren
personellen Abgrenzung, seines eindeutig definierten Auftrags sowie seiner
eminenten Unternehmensrelevanz eine zentrale Rolle in der betriebsrätlichen
Umwelt beizumessen sein (vgl. 2.2.2.4.).
2.2.2.1. Das Management
Die Stellung des Betriebsrats dem Management gegenüber zeichnet sich
dadurch aus, immer wieder in Situationen zu geraten oder solche herzustellen
zu müssen, die klare und unmissverständliche Gegenpositionen erfordern. Eine
solche Position zu beziehen und darin zu verweilen, bedeutet einen Konflikt
manchmal über einen längeren Zeitraum auszuhalten und auch trotz
anhaltenden zuweilen steigenden Drucks standhaft und aktionsfähig zu bleiben.
Trotz divergierender Positionen wird bei der Austragung und der Gestaltung von
Konflikten darauf zu achten sein, dass ein ausreichendes Maß an
Kooperationsbereitschaft erhalten bleibt um weiterhin die im ArbVG deklarierte
Kernaufgabe des betrieblichen Interessenausgleichs erfüllen zu können (ArbVG,
§ 38, Abs.1; vgl. auch Trinczek, 2010, 841).
Management und Betriebsrat stehen sich grundsätzlich als Gegenspieler
gegenüber, wobei in der Regel von Machtvorteilen des Managements
27
auszugehen ist. Dennoch kann daraus nicht geschlossen werden, dass dem
Betriebsrat keine Machtressourcen zur Verfügung stünden bzw. die
Konstellation zwischen Management und Betriebsrat zwangsläufig als
asymmetrisch zu charakterisieren wäre (vgl. Trinczek, 2010, 842). Dem
Betriebsrat steht eine große Anzahl gesetzlich vorgesehener Kontroll- und
Mitbestimmungsrechte zur Verfügung. Er kann daher als Macht
einschränkender bisweilen bedrohlicher Widerpart erlebt werden, der nur in
sehr eingeschnktem Ausmaß den herkömmlichen Verfügungs- und
Weisungsrechten der Geschäftsleitung unterliegt. Insbesondere eine aktive und
effiziente Kommunikation mit der Belegschaft und ihre starke Einbindung in
Entscheidungsprozesse durch transparente betriebsrätliche Informationspolitik
kann von Geschäftsleitungen als Bedrohung wahrgenommen werden und
gleichsam als Machtinstrument betrieblicher Interessenvertretung klassifiziert
werden (vgl. Kotthoff, 1981, 241).
Management und Führungskräfte sind daran interessiert, dass ihre
Entscheidungen beim Betriebsrat auf Verständnis stoßen und mitgetragen
werden. Initiierte Veränderungen lösen häufig Unsicherheit und Angst in
Belegschaften aus. Aus Sicht des Managements erscheint es bequemer
Veränderungsvorhaben an der Belegschaftsvertretung vorbei zu organisieren
um sie vor vollendete Tatsachen zu stellen (vgl. Uphoff, 2017, 52).
Sozialpartnerschaftlich organisierte Aushandlungsprozesse gestalten sich
komplizierter, nnen jedoch als differenzierter, nachhaltiger und mit höherer
Akzeptanz ausgestattet eingestuft werden. Polzer, der sich mit der Rolle des
Betriebsrats in betrieblichen Veränderungsprozessen beschäftigt,
charakterisiert die Beziehung von Führungskräften zu Betriebsrät/innen
folgendermaßen: Es werden keine hohen Erwartungen an sie gerichtet, sie
werden als reagierend wahrgenommen und kooperieren nur dann, wenn sie
auch Vorteile für sie bzw. die Belegschaft lukrieren können. Betriebsrät/innen
werden als Personen wahrgenommen, die sich entweder kooperierend oder
widerständisch verhalten und weniger in ihrer Funktion als
Interessenvertreter/innen; in Bezug auf die betriebsrätliche Mitwirkung bei
28
Veränderungsprozessen werden sie - entsprechende fachliche Kompetenzen
vorausgesetzt - als gleichwertige und wertvolle Partner/innen gesehen, deren
Mitwirkung die Akzeptanz von Veränderungen bei der Belegschaft erhöht (2002,
18-19).
Diese Ausführungen über die Miteinbeziehung der betrieblichen
Interessenvertretung in Veränderungsprozesse des Unternehmens führen zur
umstrittenen Rollenkonstruktion des Betriebsrats als Co Managers (vgl. Kotthoff,
2003, 163 - 170). Rami beschreibt diese Konstellation als bestimmte Form der
Zusammenarbeit zwischen den betrieblichen Sozialpartner/innen, in welcher
durch die gemeinsame Bearbeitung der per se zugeordneten Kompetenzfelder
Interessenvertretung und Betriebswirtschaft gegenseitiges Verständnis
gefördert und Misstrauen abgebaut werden kann. Darüber hinaus steigt durch
gemeinsame Lernerfahrungen die Wahrscheinlichkeit einvernehmlicher und
qualitativ hochwertigerer Lösungen (2009, 40). Auch wenn die Position des Co
Managers nicht zwangläufig bedeutet, "dass Betriebsrätinnen die
Handlungslogik des Managements übernehmen" (Polzer, 2002, 198) stellen
sich durch die starke Involvierung in Managementprozesse vor allem folgende
Herausforderungen: glaubhafte innerbetriebliche Positionierung, die hohes
diplomatisches Kommunikationsgeschick erfordert sowie die fachlich-
inhaltlichen Beanspruchungen, die als nicht unbeträchtliche Zusatzbelastung
bewertet werden können (vgl. Kotthoff, 2011, 425-429).
2.2.2.2. Die Belegschaft
Dem ArbVG folgend nnen Vertretung, Schutz und Mitbestimmung als
zentrale Säulen betrieblicher Interessenvertretung entnommen werden und es
ist davon auszugehen, dass diese Funktionen auch von Seiten der Belegschaft
dem Betriebsrat zugeordnet und eingefordert werden.
29
Die Untersuchung des Beziehungsfelds zwischen Betriebsrat und Belegschaft
anhand zweier österreichischer Industriebetriebe identifiziert Vertrauen und
persönliche Kommunikation als entscheidende Einflussgrößen betriebsrätlichen
Handelns. Die idealtypische Attribuierung erfolgt anhand der Begriffe Ehrlichkeit,
Verlässlichkeit, Verschwiegenheit, Verhandlungsgeschick und Durchsetzungs-
vermögen (vgl. Rami, 2009, 143). Der Betriebsrat wird als Anlaufstelle bei
unterschiedlichsten Problemlagen im Arbeitskontext und als Servicestelle für
Informationen zu arbeits- und sozialrechtlichen wie unternehmensinternen
Themen wahrgenommen. Darüber hinaus werden Betriebsrät/innen auch mit
persönlichen Anliegen konfrontiert. Problem- und Konfliktsituationen werden
häufig unter der Mitwirkung von Arbeitnehmervertreter/innen abgehandelt.
Oftmals wird dem Betriebsrat die Aufgabe zugedacht als Initiator/in und
Organisator/in betrieblicher Aktivitäten das gesellige Miteinander zu fördern.
Die Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen Betriebsrat und Management
seitens der Belegschaft ist als ambivalent zu bezeichnen. Ein gutes
Einvernehmen mit der Geschäftsleitung, Übereinstimmungen und ein
konstruktives Miteinander können Misstrauen erwecken und als heimliches
Paktieren ausgelegt werden (vgl. Tietel, 2008, 7). Eine kämpferische
kompromisslose Politik führt oft dazu, dass bei Entscheidungsfindungen das
"Sprachrohr Betriebsrat" kein Gehör findet und Belegschaftsinteressen nicht
effizient vertreten werden können. Die sich daraus ergebende Widersprüche
erfordern ein stetiges und immerwiederkehrendes Austarieren der
entsprechenden Nähe-Distanz-Relation angesichts aktueller Gegebenheiten.
Wenn hier von "Belegschaft" gesprochen wird, so ist darauf hinzuweisen, dass
der Begriff zwar Homogenität und Einheit suggeriert, jedoch bei näherer
Betrachtung in viele unterschiedliche Teile zerfällt (vgl. 2.). Die Heterogenität
betriebsrätlicher Vertretung ist sowohl horizontal hinsichtlich diverser
Arbeitnehmergruppen und unterschiedlicher Arbeitsbereiche wie vertikal
hinsichtlich intern bestehender Hierarchieebenen von Bedeutung. Dement-
sprechend unterschiedlich nehmen sich Erwartungshaltungen an den
30
Betriebsrat aus. Darüber hinaus stellen erhebliche Veränderungen in der
Beschäftigtenstruktur durch die zunehmende Verbreitung alternativer
Beschäftigungsformen (All-in- Verträge, Teilzeit, Leiharbeit, Outsourcing,
Scheinselbstständigkeit, Plattform Arbeit etc.), Tendenzen der räumlichen und
zeitlichen Entgrenzung sowie Individualisierung der Arbeitsorganisation (All-in
Verträge, Home Office, Zielvereinbarungen, Coworking Spaces etc.)
betriebliche Vertretungsarbeit vor gravierende Herausforderungen (Uphoff,
2017, 64; Formann, 2011, 40 f.).
Sowohl die Segmentierungstendenzen in der Beschäftigtenstruktur wie die
Auswirkungen einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt (Individualisierung,
Flexibilisierung, Digitalisierung, vgl. 2.) untergraben den Alleinvertretungs-
anspruch betrieblicher Interessenvertretungen und bergen die Gefahr eines
wachsendes Anerkennungsdefizits (Formann, 2011, 41).
2.2.2.3. Die Gewerkschaft
Gewerkschaft und Betriebsrat bedingen einander. Eine gute Anbindung an die
zuständige Fachgewerkschaft ist die Voraussetzung r wirksame Betriebsrats-
arbeit, Gewerkschaften wiederum leben vom intensiven Austausch und der
Zusammenarbeit mit Betriebsrät/innen. Bildung, Betreuung und moralische
Unterstützung für Betriebsräte sind zentrale Leistungen von Gewerkschaften
(Polzer, 2002, 29). Darüber hinaus agieren Betriebsräte an der Schnittstelle
zwischen Belegschaft und überbetrieblicher Interessenpolitik und nnen "als
verlängerter Arm der Gewerkschaften" gedeutet werden (vgl. Talos, 2008, 45).
Betriebsrat und Gewerkschaft stehen sich nahe, sind aber als eigenständige
Systeme zu verstehen. Dennoch bestehen mitunter Berührungsflächen und
Übereinstimmungen, die eine klare Abgrenzung erschweren oder aufheben (vgl.
Tietel, 2008, 11). Diese können auf personeller Ebene existieren, wenn
beispielsweise Betriebsrät/innen Positionen in Fachgewerkschaften besetzen.
31
Sie können ebenso gut in arbeitsbezogenen Verflechtungen bestehen, wenn
etwa im Zuge von Kollektivvertragsverhandlungen die Kräftebündelung von
Arbeitnehmerinteressen gemeinsam organisiert wird.
Explizite Erwartungen an Betriebsräte bestehen darin, die Gewerkschaft im
Betrieb zu bewerben und Gewerkschaftsmitglieder zu rekrutieren, die
Einhaltung kollektivvertraglicher Regelungen zu kontrollieren, die Relevanz von
Kollektivverträgen im Bewusstsein der Arbeitnehmer/innen zu verankern sowie
die aktive betriebliche Ausgestaltung kollektiver Rechtsmittel voranzutreiben
(Becksteiner et al., 2010, 62). Die Übernahme von Funktionen innerhalb der
Gewerkschaft durch Betriebsrät/innen sowie die Sensibilisierung von
Belegschaften für politische Themen über Betriebsräte sind Belege für die enge
Verquickung beider Sphären.
Die Einbindung von Gewerkschaftssekretär/innen in das betriebliche
Geschehen tritt in unterschiedlichen Spielarten auf. Sie reicht vom Platz am
Verhandlungstisch bei der Aushandlung von Betriebsvereinbarungen zur
moralischen und fachlichen Unterstützung im Hintergrund bis zu Sichtweisen,
die die "Gewerkschaft von der eigenen betrieblichen Praxis abgekoppelt und als
etwas `Externes`" erleben (Becksteiner et al., 2010, 206).
Von der Warte von Gewerkschaftssekretär/innen werden Betriebsrät/innen wie
folgt beschrieben: Betriebsräte bilden für Gewerkschaftssekretär/innen die
Schnittstelle zum Betrieb, sie werden verstärkt wahrgenommen, wenn sie über
eine starke Position im Betrieb einnehmen und einen hohen gewerkschaftlichen
Organisationsgrad aufweisen; häufig werden Betriebsrät/innen als überfordert
und ausgebrannt wahrgenommen, Gewerkschaftssekretär/innen wünschten
sich klarere organisatorische Strukturen und strategische Vorgehensweisen und
fühlen sich selbst oft als Störfaktor; die Betriebsratsarbeit wird als zunehmend
schwierig und anspruchsvoll bewertet (vgl. Polzer, 2002, 34-35). Werden die
Entwicklungen der letzten Jahrzehnte in Betracht gezogen, so ist allgemein
32
festzustellen, dass die Beziehung zwischen Betriebsrat und Gewerkschaft
deutliche Erosionserscheinungen aufweist (vgl. Talos, 2008, 90-92).
2.2.2.4. Der Aufsichtsrat
In Unternehmen ab einer gewissen Anzahl von Arbeitnehmer/innen, die in den
meisten Gesellschaftsformen 300 beträgt, hat der Betriebsrat das Recht aus
seinen Reihen Delegierte in das Aufsichtsratsorgan zu entsenden (vgl.
Gagawczuk, Gahleitner, Leitsmüller, Preiss, Schneller, 2011, 62-73). Die
Aufsichtsratsmitglieder haben eine essentielle Funktion hinsichtlich
wirtschaftlicher und unternehmensstrategischer Ausrichtung und üben die
Kontrolle der Geschäftsleitung aus (vgl. Gagawczuk et al., 2011, 83-113). Die
vom Betriebsrat entsandten Mitglieder verfügen in den allermeisten
Entscheidungsmaterien im Aufsichtsrat über ein Stimmrecht und nehmen
dadurch im betrieblichen Machtgefüge Schlüsselfunktionen ein.
Mit dem Sitz im Aufsichtrat betreten die delegierten Arbeitnehmervertreter/innen
neues Terrain, das über arbeits- und sozialrechtliche hinaus betriebswirt-
schaftliche Grund- bisweilen Spezialkenntnisse erforderlich macht. Sowohl die
mögliche nachteilige Ausgangslage hinsichtlich der fachlichen Expertise als
auch die personelle Zweidrittelmacht der Kapitalvertreter/innen bergen die
Gefahr, dass delegierten Betriebsrät/innen von Vornherein in eine defensive
Position geraten. Es besteht in dieser Konstellation aber auch die Möglichkeit
der Bildung ungewöhnlicher Allianzen von Betriebsrat und lokalem
Management, die sich beispielsweise in gemeinsamer Kritik an der
Managementphilosophie der Konzernspitze äußern kann (Polzer, 2002, 19).
Grundsätzlich haben hier Betriebsrät/innen die Möglichkeit auf
Unternehmensentscheidungen einzuwirken, die strategische Ausrichtung
mitzubestimmen, ihre Position zu bestimmten Sachverhalten klar zu deklarieren
und nicht zuletzt eigene Themen in das Gremium einzubringen.
33
Betriebliche Interessenvertreter/innen sind sowohl mit den formalen wie
informellen betrieblichen Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen
vertraut, sie kennen Hintergründe, historisch gewachsene Spielregeln,
Zusammenhänge und verfügen über eine Vielzahl interner Informationen. Ihre
ausgeprägte Innenansicht des Unternehmens kann in vielen Belangen einen
Informationsvorteil bedeuten. Sie können daher von Kapitalvertreter/innen als
wertvolle Informant/innen gesehen werden, um zu alternativen Einschätzungen
von betrieblichen Entwicklungen und Vorgängen zu gelangen und als
strategische Verbündete ventiliert werden.
2.2.2.5. Das Betriebsratsgremium
Ist in diesem Abschnitt von möglichen Sichtweisen und Erwartungen externer
Akteur/innen die Rede, so kommt dem Betriebsratsgremium eine spezielle Rolle
zu. Es ist an der Grenze von Innen und Außen angesiedelt, ist in seiner Summe
der Mitglieder eindeutig als Betriebsrat zu definieren und sorgt gleichermaßen
für eine Fülle von Interessen und Erwartungen, die aus den diversen
Abteilungen des Unternehmens in das Vertretungsorgan Betriebsrat hinein-
strömen. Zumal sich Gremien in vielen Fällen so zusammensetzen um die
unterschiedlichen Tätigkeitsfelder und Berufsgruppen eines Unternehmens
bestmöglich zu repräsentieren, ist dies der Ort, in dem eine große Zahl an
Partikularinteressen vorzufinden ist (Uphoff, 2017, 38). Die Komplexität des
Systems Betriebsrat erhöht sich darüber hinaus im Falle des Bestehens eines
Zentralbetriebsrat, eines Konzernbetriebsrats oder eines Europäischen
Betriebsrats.
Wünsche und Anliegen aus der Belegschaft werden ins Betriebsratsgremium
eingebracht. Gruppendynamisch weitaus schwieriger gestalten sich
Entscheidungsprozesse, in welchen Auswahl, Gewichtung und Dringlichkeit von
Vertretungsaufgaben festgelegt werden. Der Umstand, dass nach
geschlagenen Betriebsratswahlen im Gremium mitunter Personen
34
unterschiedlicher wahlwerbender Listen aufeinander treffen, kann den
notwendigen Prozess der Teamformung erheblich stören, wenn Konkurrenz-
situationen nicht aufgelöst werden können, Misstrauen und interne Querelen
fortbestehen und so die Zusammenarbeit blockieren.
Ausdrücklich hinzuweisen ist auf die Diskrepanz zwischen den von ihrer
Arbeitsleistung freigestellten Betriebsrät/innen (§ 117 ArbVG), die ihr Arbeitsfeld
autonom organisieren und den Betriebsratsmitglieder, die ihre Funktion
ehrenamtlich neben ihrer angestammten Berufstätigkeit ausüben (§ 115 ArbVG).
Diese ungleichen Voraussetzungen können das gegenseitige Vertrauen und die
Kooperationsbereitschaft gefährden, wenn es nicht gelingt eine gemeinsame
Sicht von Funktionen, Aufgaben und Zielsetzungen zu entwickeln. Kotthoff
spricht im Zusammenhang der unterschiedliche Rechtsstellung von der
Hierarchisierung innerhalb des Betriebsrats hinsichtlich Ressourcen und
Sachkompetenzen (1981, 268).
Gelingt hingegen eine klärende und produktive Auseinandersetzung mit den
unterschiedlichen Ausgangslagen, so kann das Gremium in Phasen von Krisen
und Konflikten einen moralischen Rückhalt darstellen und als wichtiges Zentrum
betrieblicher Mitbestimmung fungieren, in dem relevante Informationen
zusammenlaufen, ausgetauscht, formiert und gebündelt werden nnen. Als
Kriterien r die Entwicklung wirkmächtiger Betriebsratsgremien können die
mitunter kontroversielle Beteiligung an Entscheidungsprozessen, die Definition
und Zuordnung eigener Funktionsbereiche sowie die Anerkennung der
Betriebsratsrolle durch die Geschäftsleitung und die Belegschaft angeführt
werden (Kotthoff, 1981, 232-233).
2.2.3. Die Rollenauslegung
Wie gezeigt wurde sehen sich Betriebsrät/innen mit einer Vielzahl von
Wünschen aber auch Befürchtungen konfrontiert. Die Auseinandersetzung mit
35
ambivalenten Erwartungshaltungen ist als impliziter Bestandteil der Funktion zu
betrachten (vgl. Tietel, 2008, 6). Es ist folglich konsequent zu konstatieren, dass
das Anerkennen und Aushalten von Widersprüchen sowie die Entwicklung
effizienter Abgrenzungstechniken für die Entwicklung eines klaren Rollenprofils
von Vorteil ist. Es kann durchaus als eine Besonderheit betriebsrätlicher
Rollenentwicklung gelten, dass Erwartungshaltungen prominenter Akteur/innen
bewusst entgegenzutreten ist und diese auch explizit negiert werden ssen
(vgl. 2.2.1.3.). Angesichts der vielen unterschiedlichen Interessen, Wünschen
und Forderungen sowie der daraus resultierenden Handlungsmöglichkeiten ist
es nötig, der Belegschaft gegenüber, die als legitime Auftraggeberin an erster
Stelle rangiert, Grenzen zu ziehen und diese zu kommunizieren.
Betriebsräte bestehen aus mehreren Personen und bilden ein Konglomerat an
Wissen, Kompetenzen, Vorlieben und Fähigkeiten. Diese prinzipiell vorhandene
Vielfalt bietet daher bei entsprechender Einbindung der Akteur/innen die
Möglichkeit, der hohen Diversität an Bedürfnissen und Interessen in Form
arbeitsteiliger Prozesse zu begegnen. Die Voraussetzungen hierfür bilden die
klare und transparente Koordination von Aufgaben innerhalb des Gremiums
sowie die gemeinsame Abstimmung von Kommunikationsstrukturen (vgl.
2.2.1.1.). Neben der Möglichkeit durch die Entwicklung arbeitsteiliger Strukturen
im Betriebsratsgremium der Rollenvielfalt Rechnung zu tragen, stellt für
Betriebsratsvorsitzende die Ausbildung unterschiedlicher Rollenmodelle und die
Fähigkeit ihrer flexiblen Verwendung eine zentrale Herausforderung dar. An der
Schnittstelle von Person und externer Anforderungen gilt es die authentische
Ausbildung und Handhabung mehrerer oft sehr unterschiedlicher Rollen zu
organisieren.
Für die Entwicklung und die notwendige Konsistenz einer bzw. mehrere
Rollenidentitäten sind individuelle Anlagen und Wertvorstellungen mit
beruflichen Intentionen, Aufgaben und Zielsetzungen in Übereinstimmung zu
bringen. Hierbei wird eine kritische Auseinandersetzung mit eigenen
Fähigkeiten und Gefühlen eine wichtige Rolle einnehmen. Eine differenzierte
36
Selbstwahrnehmung ermöglicht das Ausloten weiterer Entwicklungspotentiale
und reduziert gleichermaßen die Gefahr geforderte oder erwünschte Rollen-
bilder zu übernehmen, die mit eigenen Interessen und Haltungen kollidieren (vgl.
2.2.1.2.).
2.3. Sozialpartnerschaft
Betriebsrätliche Sozialisierung findet nicht nur unter den spezifischen
betrieblichen Bedingungen, sondern zu einem wesentlichen Teil durch die
Involvierung in gewerkschaftliche Strukturen statt. Die Einbindung in
interessenpolitische Interaktionsräume (Bildungsveranstaltungen, Fachgruppen,
Verhandlungsgremien, Regionalausschüsse etc.) beinhaltet die Teilhabe an
Entscheidungsprozessen, den wechselseitigen Austausch von Informationen
oder die Beteiligung an der Aushandlung gewerkschaftspolitischer Ausrichtung.
Es ist davon auszugehen, dass die Ausbildung eines genuin betriebsrätlichen
Habitus maßgeblich auf individuellen und kollektiven Erfahrungen in
gewerkschaftlichen Bezugssystemen beruht und die Übernahme bestimmter
Sichtweisen, Wertevorstellungen und Handlungsmustern impliziert.
Das enge, historisch und gesetzlich fundierte Verhältnis zwischen den
Systemen Gewerkschaft und betrieblicher Interessenvertretung (z.B.: explizit
ArbVG 3 39 Abs. 2) kann als ein wesentlicher Bestandteil des Austro-
korporatismus, also der Form der österreichischen Sozialpartnerschaft gesehen
werden. Dieser wird von Becksteiner et al. als sozialer Raum mit bestimmten
Regeln und Normen beschrieben, der den Akteur/innen Orientierung, Stabilität,
Kontinuität und Berechenbarkeit vermittelt (2010, 67). Das Kräftefeld der
Sozialpartnerschaft wird von Becksteiner et al. auch hinsichtlich der
spezifischen Entwicklung und Formierung von Machtpotentialen speziell in ihren
Auswirkungen auf die betriebliche Ebene untersucht. Die zentrale These führt
aus, dass sich in der historischen Entwicklung der österreichischen
Sozialpartnerschaft die Form der institutionellen Macht etabliert hat ohne
37
alternative Machtpotentiale auszubilden. Die daraus resultierende Bürokra-
tisierung und Verrechtlichung interessenpolitischer Praktiken, die auch für das
Feld der Betriebsratsarbeit maßgeblich sind, bringen die Durchsetzungs-
fähigkeit von Arbeitnehmerinteressen in eine defensive Position (2010, 52-53).
Die zitierte Untersuchung stützt sich zwar lediglich auf die Darstellungen von
Betriebsrät/innen eines österreichischen Lebensmittelkonzerns sowie jene der
zuständigen Gewerkschaftssekretär/innen, dennoch bieten die Ausführungen
zahlreiche lohnende Einblicke in die Arbeitswelt von Betriebsräten. Auch
verweisen die dargelegten Forschungsergebnisse auf Ansatzpunkte in Bezug
auf die Ausbildung von Lern- und Reflexionsgepflogenheiten im sozialen Raum
betrieblicher Interessenvertretung. Die theoretische Grundlage ihrer
Bearbeitung bildet das Habitus - Konzept Pierre Bourdieus (2010, 70-71).
Die Habitustheorie bzw. die Dialektik von Habitus und sozialem Feld bildet
einen zentralen Bestandteil in Bourdieus soziologischer Gesamtkonzeption (vgl.
Schwingel, 2000, 57-79). Der Habitus ist nicht angeboren, sondern
gesellschaftlich bedingt. Einerseits steuert und strukturiert er Wahrnehmungs-,
Denk- und Handlungsschemata von Akteur/innen in sozialen Feldern,
andererseits werden diese durch die handelnden Personen aufrechterhalten,
weitergetragen und modifiziert (vgl. Schwingel, 2000, 73-74). Wenn hier also
von einem betriebsrätlich bzw. gewerkschaftlich geprägten Habitus die Rede ist,
so sind zunächst die Effekte, die ein spezifisches Feld auf ihre Akteur/innen zu
zeitigen vermag von Interesse. Im Feld betrieblicher Interessenvertreter/innen
konkretisiert sich dies durch die Verinnerlichung und Reproduktion historisch
tradierter und anerkannter Verhaltensmuster, Sichtweisen und Wertehaltungen.
Dies führt in weiterer Folge zu einer Verfestigung existierender Kräfte-
verhältnisse. Entscheidend r den Ansatzpunkt von Becksteiner et al. ist nun,
dass der Habitus nicht lediglich als strukturierendes Prinzip fungiert - im Sinne
von das Feld prägt die Akteur/innen - sondern auch das Feld selbst durch die
Handlungen der Akteur/innen selbst aktiv strukturiert wird. Die ausgeprägten
und wirkenden Habitusformen beschränken das Handlungsrepertoire und
38
blockieren die Entwicklung alternativer Machtpotentiale, sie sind aber nicht als
unabänderlich zu sehen (2010, 73). Dieser Gedanke bezüglich des
Entwicklungspotentials habitueller Praktiken von Betriebsrät/innen sowie damit
zusammenhängende Veränderungen gewerkschaftlicher Strukturen wird im
letzten Kapitel nochmals aufgegriffen und weiter ausgeführt.
Worin können nun konkrete Ausformungen eines betriebsrätlichen Habitus
gesehen werden? Die Konzentration auf das institutionelle Machtpotential ist
geprägt durch die feste und anerkannte Verankerung bestimmter Konflikt- und
Kommunikationsstrukturen, die Berufung auf eine Vielzahl arbeitsrechtlicher
Regelungen sowie ein dichtes Geflecht bürokratischer Gepflogenheiten (vgl.
Pechsteiner et al., 2010, 29-31). Auffällig ist der Widerspruch zwischen dem
demonstrativen Hervorstellen von Stärke und Kampfbereitschaft innerhalb
gewerkschaftlich betriebsrätlicher Kommunikationsräume und dem
pragmatischen Verhalten in konkreten Aushandlungsprozessen mit dem
Management (vgl. 2010,247). Kommt es dennoch zur Zuspitzung eines
betrieblichen Konflikts, so beschränkt sich die Eskalationsdramaturgie mitunter
auf ein zweistufiges Verfahren bestehend aus der Androhung und dem
Letztmittel, der tatsächlichen Einreichen einer Klage vor dem Arbeits- und
Sozialgericht. Die Austragung von Konflikten ist von Berechenbarkeit geprägt
sowie dem Bestreben sozialpartnerschaftliche Vertrauensverhältnisse nicht
nachhaltig zu beschädigen (vgl. Pechsteiner et al, 2010, 248). Das
Hauptmerkmal sozialpartnerschaftlicher Konfliktkultur sieht Talos in der
Kompromissfindung, die im Schlagwort vom "Klassenkampf am grünen Tisch"
ihren Niederschlag findet (2008, 48).
Arbeitgeber/innen werden als primär von ökonomischen Interessen geleiteter
Widerpart inszeniert, der somit die eigene Identität und Programmatik
grundsätzlich legitimiert und als einende Klammer im Kampf für Arbeitnehmer-
interessen und soziale Gerechtigkeit fungiert.
39
Für die Formen der Entscheidungsfindung und Interessendurchsetzung kann
die von Becksteiner et al. konstatierte paternalistische Haltung von
Interessenvertreter/innen der Belegschaft gegenüber als charakteristisch
angeführt werden. Aus dem betriebsrätlichen Selbstverständnis als Schutz- und
Servicestelle resultiert die Vernachlässigung aktivierender Formen der
Selbstermächtigung oder strategischer Verbündung. Das hat zur Folge, dass
die Aktivierung der Belegschaft in Konfliktsituationen schwerer gelingt oder nur
in Sonderfällen überhaupt in Erwägung gezogen wird (2010, 274).
Dementsprechend aufwendig und bürokratisch gestaltet sich die Mobilisierung
und Einbindung von Arbeitnehmer/innen in vorbereitete Formen der
Konfliktaustragung beispielsweise im Rahmen jährlicher Kollektivvertrags-
verhandlungen. So ereignen sich Demonstrationen oder alternative Protest-
kundgebungen nicht aufgrund spontaner Aufgebrachtheit betroffener
Arbeitnehmer/innen, sondern sind fest vorgesehene Bestandteile in von langer
Hand geplanten Aushandlungsprozessen und können als gängige Interaktions-
norm zwischen Kapital und Arbeit interpretiert werden (vgl. Trinczek, 843).
2.4. Typische Aufgabenfelder und Problemkonstellationen
Im folgenden Abschnitt werden zentrale Aufgabenfelder des betriebsrätlichen
Arbeitsalltags entlang der Themenbereiche Vertretung, Selbstmanagement,
Strategie und Führung dargestellt. Neben der Beschreibung der Tätigkeiten und
Anforderungen sollen auch inhärente Problemlagen und potentielle Belastungs-
phänomene aufgezeigt werden.
2.4.1. Vertretungsarbeit
Vertretungsaufgaben können individueller Natur sein oder bestimmte Gruppen
des Betriebs bzw. die Gesamtbelegschaft betreffen. Dabei geht es darum
Wünsche und Anliegen zu eruieren und konkrete Aufträge mit Betroffenen
40
abzustimmen, Vorgangsweisen und Zielsetzungen festzulegen. Vertretungs-
materien sind vielfältig und reichen von der Unterstützung beim Ausfüllen von
Arbeitnehmerveranlagungen bis hin zu Verhandlungen umfangreicher
Betriebsvereinbarungen.
Ein zentraler Punkt von Vertretungsarbeit besteht in der Ausbildung diverser
Kontrollmechanismen um die Einhaltung rechtlicher Bestimmungen zu
überprüfen 89 ArbVG). Daraus folgt, dass im Falle von Interventionen
geeignete betriebliche Praktiken der Konflikt- und Regelungskultur entwickelt
werden müssen, um eine effiziente und deeskalierende Abwicklung in
Streitfällen zu gewährleisten. Betriebsrät/innen agieren als Vermittler/innen in
einem schmalen Korridor zwischen Erwartungen der Belegschaft und
überwiegend betriebswirtschaftlichen Interessen von Geschäftsleitungen. Diese
Konstellation bringt es mit sich, dass aus ihr hervorgehende Lösungen die
Interessen von Arbeitnehmer/innen oft nur partiell befriedigen.
Aushandlungsprozesse sind zwar mit hohem Arbeitseinsatz und nicht zu
unterschätzendem emotionalen Engagement verbunden, ihre auf
Kompromissen fußenden Ergebnisse lassen sich allerdings selten als volle
Erfolge verbuchen. Der Umstand, dass sich Verhandlungen - sofern das
Gegenüber zunächst einmal von ihrer Notwendigkeit überzeugt werden kann -
meist langwierig und kompliziert gestalten, hat zur Folge, dass auch ein
Großteil der damit zusammenhängenden Aktivitäten der Belegschaft verborgen
bleibt (vgl. Becksteiner et al.,2010, 172-173). So sind beispielsweise die
fachlichen und strategischen Vor- und Nachbereitungen, die Aufbereitung von
Informationen und die Erarbeitung einer Kommunikationsstrategie notwendige
Arbeitsschritte, die nicht wahrgenommen werden und sich somit potentieller
Anerkennung durch die Belegschaft entziehen. Unter diesen Rahmen-
bedingungen ist es möglich, dass letztendlich hartnäckig erkämpfte
Verhandlungsresultate als unzureichend und enttäuschend klassifiziert werden.
Den selbst oder von der Belegschaft gesetzten Erwartungen nicht entsprechen
zu können und die damit einhergehende Enttäuschung sind Gefühle, mit
41
welchen Betriebsrät/innen konfrontiert werden. Gefühllagen wie diese, die
generell schwach ausgeprägte Feedbackkultur im Allgemeinen und die
spärlichen Rückmeldungen bei Erfolgen im Besonderen sowie der beträchtliche
Mangel an Anerkennung (vgl. Tietel, 2008, 9) werfen die Frage nach adäquaten
Bearbeitungsmechanismen auf um die nötige Arbeitsfähigkeit zu erhalten.
Gelingt es nicht geeignete Ausgleichsmaßnahmen zu organisieren und fest zu
integrieren, so besteht ein hohes Risiko sich den täglichen Anforderungen nicht
mehr gewachsen zu fühlen (vgl. Formann, 2011, 49).
Betriebsrät/innen verfügen über ein ausgeprägtes Wissen zum Thema Burnout,
setzten sich in Projekten im Rahmen Betrieblicher Gesundheitsförderung für
präventive Maßnahmen ein und fungieren im Betrieb als vertrauensvolle
Anlaufstelle für erschöpfte Mitarbeiter/innen. Die eigene Betroffenheit jedoch
wird oft ausgeblendet, so dass Interessenvertretungen aufgrund ihrer
spezifischen Anforderungen und Belastungen als Risikogruppe in Sachen
Burnout eingestuft werden müssen. Auch kann der ausgeprägte persönliche
Einsatz gepaart mit oftmals weitgehend autonomer Zeiteinteilung dazu führen,
dass ein beträchtlicher Anteil von Arbeitsleistungen in der Freizeit erbracht wird.
Ein wesentlicher Arbeitsmechanismus eines Vertretungsorgans besteht darin,
sich in einem ständigen Prozess mit an ihn gerichteten, durchaus auch
widersprüchlichen Wünschen und Forderungen auseinanderzusetzen, diese zu
selektieren, Vorgangsweisen zu planen und im Rahmen betrieblicher
Aushandlungsprozesse umzusetzen. Musger weist daraufhin, dass trotz hoher
Kommunikationsintensität von Betriebsrät/innen gerade in Entscheidungs- und
Verhandlungsprozessen immer wieder Einsamkeit als schmerzvolle
Grenzerfahrung genannt wird (Musger, 2008, 16). Einsamkeit erklärt sich aus
der meist ungeteilten Führungsposition von Betriebsratsvorsitzenden und der
funktionellen Differenz zu ihren Betriebsratsmitgliedern, die in ihrem
Arbeitsalltag primär als Angestellte und nicht als Betriebsrat/rätin agieren.
Zudem fungieren Betriebsrät/innen im Betrieb als Ansprechpartner/innen,
Zuhörer/innen und Problemlöser/innen. Das offene Ohr für Anliegen von
42
Betriebsrät/innen hingegen beschränkt sich in erster Linie auf fachliche
Unterstützungsleistungen.
Auch ist zu bedenken, dass sich Richtungs- und Handlungsentscheidungen
unter Berücksichtigung und in Abstimmung persönlicher bzw. gremien-
bezogener Ressourcen und Intentionen vollziehen und von den agierenden
Personen im Betriebsrat mitentwickelt werden. Es ist daher keinesfalls
ausgeschlossen in der Vertretungsfunktion Anliegen vertreten zu müssen, mit
welchen die innere Übereinstimmung gering ist.
2.4.2. Selbstmanagement und Strategiearbeit
Der Einstieg in die Betriebsratsarbeit im Allgemeinen und in die Rolle des/der
Vorsitzenden im Speziellen bedeutet mitunter nicht nur eine einschneidende
berufliche Weichenstellung, sondern gleichzeitig die Konfrontation mit neuen
beruflichen Herausforderungen, die auf die neue Position innerhalb der
Belegschaft bzw. die exponierte Führungsrolle zurückzuführen sind.
Betriebsrät/innen stehen in der betrieblichen Öffentlichkeit aufgrund ihrer
Sonderposition unter besonderer Beobachtung der Belegschaft und sehen sich
mit einer Vielzahl, oftmals divergierender Erwartungen konfrontiert. Die
Möglichkeit des Thematisierens von Unsicherheiten, Selbstzweifel und Ängsten
ist im beruflichen Kontext unwahrscheinlich und mit den Selbst- und
Fremdzuschreibungen an das Rollenbild Betriebsrat/rätin schwer vereinbar.
Die Auseinandersetzung und Bearbeitung emotionaler Problemlagen wird
aufgrund des dichten Arbeitsalltags und der sperrigen Vereinbarkeit von
Schwäche und beruflichem Rollenbild hintangestellt, verdrängt oder in die
Privatsphäre transferiert.
Stehen für fachlich - rechtliche Fragestellungen professionelle Kontakte in
Arbeiterkammern und Gewerkschaften zur Verfügung, so bleibt der Aufbau
einer Büroorganisation und die Entwicklung eines Zeit- und Kommunikations-
43
managements der/dem Neueinsteiger/in überlassen und erfolgt nebenbei ohne
einschlägige Unterstützungsmaßnahmen (Formann, 2011, 261). Die Freiräume
und die Autonomie im Falle einer Freistellung können als Privilegien gedeutet
werden, delegieren allerdings die Verantwortung und Kompetenz klarer
Abgrenzung in jederlei Hinsicht in die Sphäre der Selbstbestimmung.
Diese Anforderungen Ausmaß und Inhalte von Betriebsratsarbeit selbst zu
definieren, erhalten in Hinblick auf die sich transformierende Arbeitswelt (vgl. 1.)
eine besondere Bedeutung. In Anbetracht immer komplexer werdenden
Rahmenbedingungen wird der Erarbeitung professioneller, kontinuierlich
anzupassender Arbeitsstrukturen abgestimmt auf die persönlichen Bedürfnisse
und die äußeren Bedingungen eine wichtige Bedeutung beizumessen sein um
Überblick und Orientierung zu bewahren.
Neben den Aufgaben der Selbstorganisation spielt für die Entwicklung und
Umsetzung realistischer Zielsetzungen die strategische Planung von
Betriebsratsarbeit eine maßgebliche Rolle. Ist hier von strategischer
Betriebsratsarbeit die Rede, so soll zwischen einer reaktiven und einer
proaktiven Ausrichtung unterschieden werden. Unter reaktiver Ausrichtung
werden Inhalte verstanden, die von außen, in erster Linie von
Arbeitnehmer/innen an den Betriebsrat herangetragen werden. Neben Auswahl,
Priorisierung, Umsetzung etc. wird es darum gehen ein Repertoire an
Interventionsformen zu entwickeln, Arbeitsprozesse zu systematisieren,
Routineabläufe auszubilden und anzupassen. In erster Linie wird es sich hierbei
um grundlegende Schutz- und Kontrollaufgaben handeln. Unter proaktiver
Ausrichtung können die aus dem Betriebsrat heraus entwickelten Projekte und
initiierten Aufgabenstellungen verstanden werden, die oftmals mittel- bis
langfristig angelegt sind.
Die Beschreibungen Uphoffs, der die strategische Ausrichtung betriebsrätlichen
Denkens und Handelns darin sieht, die "Unternehmensentwicklung zu
beeinflussen und Veränderungsprozesse zu gestalten" kann als besonders
44
ambitionierte Ausformung einer proaktiven Leitorientierung gesehen werden
(Uphoff, 2017, 66). Im Regelfall wird sich proaktive Gestaltung von
Betriebsratsarbeit auf die konsequente Verfolgung weniger ausgewählter
Schwerpunkte beschränken und durch aktuelle betriebliche Geschehnisse, die
rasches und unmittelbares Handeln erfordern immer wieder unterbrochen
werden. Dem reaktiven Rollenverhalten von Betriebsräten begegnet Uphoff mit
dem Idealmodell des strategischen Betriebsrats, der als umsichtiger und
offensiv ausgerichteter Beobachter Arbeitsbedingungen und Unternehmens-
entscheidungen überblickt und sich bei Bedarf als Korrektiv oder Initiator ins
Spiel bringt (2017, 69). Den Kern funktionierender betrieblicher Sozial-
partnerschaft sieht er in der zeitgerechten Informationseinbindung. "Über
Planungen und Maßnahmen informiert zu sein und nicht erst bei Vollzug in
Kenntnis gesetzt zu werden, ist von enormer Bedeutung für eine strategische
Betriebsratsarbeit" (2017, 71).
Bei dieser Darstellung des offensiven, in alle unternehmerischen Belange
eingeweihten und relevanten Entscheidungsprozesse miteinbezogenen
Betriebsrats bleibt jedoch offen, auf welcher sozialpartnerschaftlichen
Entwicklungsgeschichte dieser Zustand umfassender Einbindung und Teilhabe
beruht. Des Weiteren wirft sich die Frage auf, auf welche Ressourcen
Betriebsräte zurückgreifen nnen um diese Fülle an Partizipation professionell
bearbeiten und bewältigen zu können? Tietel gibt diesbezüglich zu bedenken,
dass die starke Einbindung des Betriebsrats in relevante betriebliche
Entscheidungsstrukturen nicht nur als erstrebenswert zu betrachten ist, sondern
auch als belastend und überfordernd erlebt werden kann (vgl., 2008, 6). Gerade
für Betriebsrät/innen, die stark ins Geschehen des Unternehmens eingebunden
sind, stellen Überlastung und Arbeitsverdichtung veritable Gefahren dar. Die
zunehmende Heterogenität von Arbeitsfeldern erfordert sowohl ein rasches
thematisches Springen und Umschalten wie auch eine hohe Flexibilität des
Rollenverhaltens.
45
2.4.3. Führungsarbeit
Betriebsratsvorsitzende sind Führungskräfte. Sie vertreten den Betriebsrat nach
Außen 71 ArbVG), sie leiten Betriebsversammlungen, Sitzungen 67
ArbVG), Verhandlungen und organisieren die Kommunikation mit der
Geschäftsführung und der Belegschaft. Sie führen den Vorsitz im Betriebsrats-
gremium, ihnen obliegt die Verantwortung aus seinen Mitgliedern ein
funktionierendes Team zu formen. Im Falle einer Freistellung 117 ArbVG)
verfügen sie über hohe Ressourcen und prägen oftmals die inhaltliche
Ausrichtung und Kultur des betriebsrätlichen Handelns.
Gewisse Einschränkungen dieser Führungsrolle ergeben sich durch den
Umstand, dass es sich bei einem Betriebsratsgremium um ein Kollegialorgan
handelt und demzufolge Entscheidungen aufgrund entsprechender Mehrheits-
verhältnisse bzw. fraktioneller Kräfteverhältnisse getroffen werden (Polzer, 2002,
150). In dem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass Führung im
gewerkschaftlich betriebsrätlichen Diskurs oft negativ konnotiert ist, da der
Begriff über seinen Konnex zu Management primär der Arbeitgeberseite
zugeordnet wird.
Es soll auch darauf hingewiesen werden, dass die erste Freistellung oftmals
ohne entsprechende Vorbereitung in Angriff genommen wird, da im ArbVG
keinerlei Möglichkeiten hierfür eingeräumt werden (ArbVG § 117). Im besten
Falle ist davon auszugehen, dass es sich um ein Betriebsratsmitglied handelt,
dass schon mehrere Jahre Erfahrung im Gremium sammeln konnte und die
Möglichkeit hatte sich auf die berufliche Veränderung mental einzustimmen und
fachlich vorzubereiten. Speziell am Beginn der Laufbahn von Betriebsrät/innen
können diese ungünstigen Startbedingungen hohen Druck und große
Belastungen verursachen.
Betriebsratsvorsitzende koordinieren Kontakte nach Außen und stellen die
Verbindung zur zuständigen Fachgewerkschaft und anderen relevanten Stellen
46
dar. Sie haben die Möglichkeiten die Gesamtheit der betrieblichen Abläufe zu
überblicken, die besonderen Rahmenbedingungen einzelner Abteilungen,
Geschäftszweige oder Beschäftigungsgruppen zu kennen und sind nicht selten
die einzige Instanz, die den `Betrieb als Ganzes` mit all seinen ökonomischen,
sozialen, kulturellen und persönlichen Dimensionen ins Auge fassen (Tietel,
2008, 9). Aufgrund ihrer betrieblichen Vernetzung und ihrer Informationsvorteile
koordinieren sie die Betriebsratsarbeit im Gremium, das als internes
Informationszentrum und als gemeinsame Plattform fungiert. Die Förderung des
Aufbaus vertrauensvoller Beziehungen im Gremium, die Koordination,
Delegation und Verteilung von Aufgaben, die Stärkung und Unterstützung von
Betriebsratsmitgliedern, die Organisation von Entscheidungsprozessen, das
Erarbeiten gemeinsamer Zielsetzungen etc. sind lediglich ein kleiner Ausschnitt
möglicher Führungsaufgaben von Betriebsratsvorsitzenden.
Angesichts der Dichte an Delegations- und Koordinationsaufgaben und des
Umstandes, dass Betriebsratsvorsitzende über weit höhere Zeitressourcen
verfügen als die anderen Betriebsratsmitglieder kann der Fall eintreten, dass
viele Aufgaben entweder nicht zugeteilt oder selbst übernommen werden. Die
starke Konzentration und Bündelung von Aufgaben in einer Hand kann zu einer
zunehmenden operativen Abkoppelung führen und zum Phänomen des/der
Betriebsratsvorsitzenden als Einzelkämpfer/in (vgl. Formann, 2011, 260-262).
Die erforderlichen Teamführungskompetenzen werden in den meisten Fällen
nicht aus dem angestammten Beruf mitgebracht, sondern müssen
berufsbegleitend angeeignet werden. Gelingt es in der dieser Konstellationen
nicht klare Grenzen zu ziehen und unterstützende Maßnahmen zu entwickeln,
so können Überforderung und Mutlosigkeit als Folgeerscheinungen auftreten.
Aufgabenstellungen können aufgrund ihrer Fülle oder ihres Anspruchs Gefühle
der Ausweglosigkeit und Resignation hervorrufen (vgl. Formann, 2011, 260).
47
3. Die Beratungsformate Supervision und Coaching
Im folgenden Abschnitt sollen das Beratungsverständnis, das dieser Arbeit
zugrunde liegt sowie die speziellen Rahmenbedingungen, die die
Beratungsformate im Feld der Betriebsratsarbeit determinieren, beschrieben
werden. Der Begriff Wirkung erfährt eine nähere Erläuterung sowohl hinsichtlich
seiner Stellung in der Forschungsliteratur als auch bezüglich seiner
Verwendung in vorliegender Arbeit. Abschließend erfolgt die Darstellung der
relevanten Forschungsliteratur anhand der Schlüsselbegriffe: Betriebsrat,
Supervision, Coaching.
3.1. Beratungsverständnis
Die Definition der Beratungsformate orientiert sich an den Beschreibungen der
Österreichischen Vereinigung von Supervision und Coaching (ÖVS).
5
Supervision und Coaching werden als eigenständige Beratungsformate für
Einzelpersonen, Gruppen und Teams verstanden, die unter Anleitung
professionell ausgebildeter Berater/innen ihr berufliches Handeln reflektieren.
Ziel ist es, die Teilnehmer/innen zu befähigen Veränderungsprozesse
anzustoßen um die Arbeitsqualität und die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen.
Coaching wird als Sonderform von Supervision betrachtet, die sich speziell an
Personen mit Führungsaufgaben richtet.
Beide Formate inkludieren allgemein anerkannte und relevante Richtungen,
Ansätze und Schulen. Im Forschungsfokus vorliegender Arbeit steht nicht die
Wirkung eines bestimmten Formats oder die Überprüfung eines Theoriemodells
hinsichtlich seiner Eignung für das Feld, sondern die allgemein gehaltene
Ausgangsfrage, welche Veränderungen reflexionsfördernde Beratung in der
5
Zu Beschreibung und Definition der Beratungsformate gemäß ÖVS siehe:
https://www.oevs.or.at/; [Zugriff: 30.1.2018]
48
Betriebsratsarbeit zu zeitigen vermag. Im Sinne dieser breit angelegten
Verwendung der beiden Formate werden auch die Termini Supervision und
Coaching fast durchgängig gleichrangig und gemeinsam gebraucht.
Die beiden Beratungsformate werden in ihrer Gesamtkonzeption weitgehend
übereinstimmend gesehen, so dass die Bezeichnungen auch als
Etikettierungen verstanden werden können, die nicht nur aufgrund sachlicher
Differenzierungen vorgenommen werden, sondern ebenso den Einfluss- und
Interessensphären diverser Diskursmächte (Medien, Wissenschaft, Wirtschaft,
Ausbildungsinstitutionen etc.) geschuldet sind (vgl. Buer, 2010, 223). Haubl
begreift Supervision und Coaching als Praxeologien, deren Differenzierungen
zwischen den paradigmatischen Ausrichtungen innerhalb einer
Disziplin durchaus größer sein können als zwischen den Beratungsformaten
selbst (vgl. 2011, 15-16). Gründe für die nach wie vor aufrecht erhaltene
begriffliche Differenzierung können in geschäftsstrategischen Überlegungen
sowie in Distinktionsbestrebungen von Beratungsansätzen gesehen werden.
Die Verwendung beider Begriffe in vorliegender Arbeit intendiert die
Kommunikation mit dem Kreis potentieller Zielpersonen möglichst verständlich
anzulegen. Wobei an dieser Stelle anzumerken ist, dass sich der hier
beschriebene Zugang, der ein ausgesprochen breites Spektrum reflexiver
Beratungsformen ins Blickfeld rückt, von der Betriebsratswarte möglicherweise
völlig anders wahrgenommen wird, nämlich als punktuelles bisweilen mysteriös
anmutendes Phänomen.
Supervision und Coaching werden als reflexions- und prozessorientierte
Beratungsformate verstanden in klarer Abgrenzung zu den diversen Formen
von Fach- und Expertenberatung, die sich im Feld primär durch den Transfer
von arbeits- und sozialrechtlichen Spezialwissen bzw. instruktive
Unterstützungsleistungen konkretisieren. Elemente von Fachberatung können
allerdings auch Supervision- und Coachingprozesse beinhalten. Um ein klares
Bild darüber zu bekommen, inwiefern sich die Formate von Fachberatung
49
unterscheiden, und wo ihre notwendigen Verbindungsstellen und
Gemeinsamkeiten liegen, soll das Beratungsmodell von Fritz Simons
Einführung in die (System-) Theorie der Beratung herangezogen werden (vgl.
2014). Davon ausgehend, dass alle Beratungsprozesse aus Kommunikation
bestehen, unterscheidet er Prozessberatung, die ihren Schwerpunkt auf die
Sozialdimension von Kommunikation legt, von Fachberatung, die vor allem die
Sachdimension von Kommunikation herausstellt (vgl. 2014, 7). Nach Simon
kreiert Fachberatung zwei asymmetrischer Beziehungen: auf der einen Seite
die beratende Person, die ihr Fachwissen einbringt, aber über keine Kenntnisse
verfügt wie dieses Wissen in das spezielle soziale System zu integrieren ist; auf
der anderen Seite die Beratung empfangende Person, bei der diese
Wissensstände entgegengesetzt gelagert sind (vgl. 2014, 25-29). Simon
schließt daraus, dass es reine Fachberatung gar nicht gibt, da daraus
resultierende Informationen erst durch Bearbeitung und entsprechende
Einpassung in ein soziales Gefüge ihre Wirkung entfalten können (vgl. 2014,
26-27). Supervision und Coaching können demzufolge als Verarbeitungsformen
von Fachinformationen gesehen werden, um diese zu selektieren, an
Systemeigenheiten anzupassen und ihre Umsetzung in die Praxis zu forcieren.
Bellardi versteht Supervision in Anlehnung an Rappe - Giesecke als Beratung
zweiter Ordnung, als Beratung für Berater/innen (vgl. 2013, 114). Zu dieser
Gruppe sind jedenfalls Betriebsrät/innen zu zählen, auf deren spezifische
Beratungstätigkeiten in Folge noch näher eingegangen werden wird. Der Begriff
Beratung zweiter Ordnung eignet sich dazu, um einen zur Fachberatung
alternativen Bearbeitungsmodus zu charakterisieren, dessen Wesensmerkmal
es ist, nicht neues Wissen von Außen zuzuführen, sondern durch die Um- und
Neuordnungen innerer Strukturen neue Erkenntnisse zu gewinnen. Alternativ
versteht sich hier im Sinne von ergänzend und als Möglichkeit eines
zusätzlichen Verfahrens, das durch das Initiieren selbstorganisierter Reflexions-
und Lernprozesse dazu beiträgt das berufliche Handlungsrepertoire zu
vermehren.
50
Eine differenzierte Darstellung von Beratungsformen im betriebsrätlichen
Kontext findet sich bei Pongratz, der Supervision als Mittel der Wahl reflexiver
Beratung versteht und diese klar unterscheidet "von Wissensvermittlung,
Schulung und Expertenberatung, von normativer Anleitung nach
Erfolgsmodellen (`best practise`), aber auch von Selbsthilfe und informellen
Lernen (ohne Begleitung) oder von unsystematischen Erfahrungsaustausch"
(2008,3).
Supervision und Coaching nnen folglich in der Arbeitswelt von
Betriebsrät/innen als Beratung zweiter Ordnung verstanden und als Ergänzung
des im Feld vorherrschenden Modus der Fachberatung gesehen werden. Sie
stellen somit auch im Sinne Simons relevante Bearbeitungs- und
Integrationsmechanismen dar um fachliche Inhalte in die betriebsrätliche Praxis
überzuführen und in aktive Handlung zu übersetzen. Fachberatung kann als
Input betrachtet werden, die sich über die Bearbeitung mithilfe von
Beratungsinstrumenten zweiter Ordnung als Output in Form reflexiven
zielorientierten Handelns manifestiert.
3.2. Funktionen von Beratung im Forschungsfeld
Bei der Erkundung der Verbreitung und des Stellenwerts der Beratungsformate
im Feld sollte der Umstand miteinbezogen werden, dass für die
Protagonist/innen selbst die Dienstleistung Beratung zu ihren Kerngeschäften
zählt. Betriebsrät/innen verfügen über betriebliches und arbeitsrechtliches
Spezialwissen, das durch berufliche Praxis, Selbststudium und
Weiterbildungsangeboten unterstützender Institutionen erworben wird.
6
Ein
wichtiger Teil ihres Handlungsspektrums besteht in der Beratung von
Arbeitnehmer/innen, deren Inhalte sich meistens auf individuelle
Arbeitssituationen beziehen und bisweilen weit in die persönliche Lebenswelten
6
Bezüglich des Schulung- und Weiterbildungsverhaltens von Betriebsräten sei auf die FORBA
Studie von Bettina Stadler verwiesen ( 2017, 30)
51
von Arbeitnehmer/innen hineinreichen. Neben der Informationsweitergabe und
der Bereitstellung von Spezialwissen ist häufig die Unterstützung bei
Entscheidungsfindungen gefordert.
Das Herstellen eines vertrauensvollen Gesprächsrahmens, das zielorientierte
Strukturieren von Kommunikation, empathische und wertschätzende
Gesprächsführung sowie der bedachte Einsatz exklusiven (meist betrieblichen)
Wissens können als Merkmale betriebsrätlicher Beratungskompetenz angeführt
werden. Beratung findet mit betrieblichen Akteur/innen in verschiedenen
Konstellationen und unter unterschiedlichen Prämissen statt. So wird die
gemeinsame Beratung innerhalb des Betriebsratsgremiums anders zu
organisieren sein wie jene mit der Geschäftsleitung.
Nehmen Betriebsrät/innen selbst Beratung in Anspruch, so handelt es sich in
der Regel um Abklärung arbeits- und sozialrechtlicher Fragestellungen, um
Fachexpertisen zuständiger Gewerkschaftssekretär/innen oder um den
Erfahrungsaustausch mit anderen Betriebsrät/innen.
7
Die Anwendung von Supervision und Coaching im betriebsrätlichen Arbeitsfeld
unterliegt speziellen Bedingungen. Die Inanspruchnahme und Finanzierung von
Beratungsleistungen bedarf der Behandlung und Beschlussfassung durch das
Betriebsratsgremium. Entschließt sich eine Interessenvertretung für die
Inanspruchnahme eines der Beratungsformate, so wird diese in der Regel vom
Betriebsrat selbst beauftragt. Das bedeutet, dass Auftraggeber/in gleichzeitig
auch Empfänger/in der Dienstleistung ist. Die institutionelle Anbindung und
damit zusätzliche Andockstelle seitens der/die Berater/in an das betriebliche
System über das Auftragsdreieck ist dadurch nicht gegeben (vgl. Bellardi, 2013,
75-76).
7
Eine detaillierte Beschreibung zur Weiterbildung und Professionalisierung von Betriebsräten
entlang ihrer vielfältigen Aufgaben findet sich in Hocke, 2012, 83-105
52
Die Orientierung an klassischen Anordnungen und insbesondere der Blick auf
relevante Untersuchungskomponenten wissenschaftlicher Forschungsdesigns
könnte auch die Frage nach dem Klient/innensystem im betriebsrätlichen
Handlungsfeld aufwerfen (vgl. Schigl, 2004, 2; Petzold, 2003, 170-172). Die
Belegschaft als solches auszumachen würde am ersten Blick naheliegen, ist
jedoch bei genauerer Betrachtung zu relativieren. So übt der Betriebsrat ihr
gegenüber primär eine Vertretungsfunktion aus, ist ihr gegenüber in formaler
Hinsicht berichtspflichtig, hat gegebenenfalls von ihr Aufträge
entgegenzunehmen und kann theoretisch durch sie im Rahmen einer
Betriebsversammlung seiner Funktion enthoben werden. Die Belegschaft ist
folglich als Teil eines betriebspolitischen Repräsentationssystem zu sehen und
weniger als Klient/innensystem. Nachdem auch Geschäftsleitung und
Gewerkschaftssekretär/in hierfür ebenfalls nicht in Frage kommen, kann ein
Klient/innensystem nicht eindeutig identifiziert werden.
Für die Finanzierung von Beratungsleistungen liegt die Abrechnung über den
Betriebsratsfonds nahe, sofern ein solcher eingerichtet ist. Entscheidungen
über kostenpflichtige externe Beratungsleistungen sind mit einfacher Mehrheit
im Gremium zu treffen 68 ArbVG), und setzen daher bei
Betriebsratsmitgliedern grundlegende Sachkenntnisse und Akzeptanz voraus.
3.3. Die Dimension Wirkung in der Forschungsliteratur
Die wissenschaftliche Beforschung von Supervision ist insbesondere im
deutschen Sprachraum wenig entwickelt (vgl. Petzold, 2003, 10).
Dementsprechend dürftig fällt der empirisch gesicherte Wissensstand ihrer
Wirkungen aus (vgl. Hausinger, 2007, 50). Obwohl diese Befunde bereits einige
Jahre zurückliegen, haben sie nach eingehender Analyse der Literatur nach wie
vor Gültigkeit.
53
Zur Wirkungsforschung von Supervision ist zunächst das quantitative SEI -
Verfahren (Supervisions-Evaluationsinventar) zu nennen, das auf der
Grundlage eines standardisierten Fragebogens 69 Supervisand/innen über die
Wirkung von Supervisionsprozessen in Bezug auf Institution, Person,
Klient/innen, Kolleg/innen befragte (vgl. Schneider, Müller, 1995, 86-98). In
allen Teilaspekten konnten positive Veränderungen festgestellt werden (vgl.
1995, 93), deren wissenschaftliche Relevanz sich insofern relativiert, da es sich
nach Petzold bei dieser Evaluation "nicht um `objektive`, unter kontrollierten
Bedingungen gewonnene Daten handelt" (2003, 197). Ein weiterer Kritikpunkt
Petzolds an der Wirkungsforschung von Supervision besteht darin, dass sich
die bisherige Forschung lediglich auf Effekte auf Supervisand/innen konzentriert,
jene auf das Klient/innensystem allerdings außer Acht lässt (vgl. 2003, 200).
Eine besondere Beachtung verdient das Motiv für die Entwicklung des SEI
Verfahrens. So ging es Schneider, Müller nicht ausschließlich darum einen
Wirkungsnachweis zu erbringen, sondern auch darum Aufklärung und
Information über die Beratungsformate zu vermitteln. Als Auslöser hierfür
werden falsche und missverständliche Vorstellungen über Supervision genannt,
die in Gesprächen mit Leitungs- und Fachkräften zu Tage traten (1995, 97).
Diese Ausgangslage kann dahingehend gedeutet werden, dass neben den
Anstrengungen profunder Forschung die Vermittlung grundlegender
Informationen auch im Auge behalten werden sollte.
Eine eingehende Recherche der internationalen Forschungsliteratur mit dem
Schwerpunkt zur Wirkung von Supervision samt Vorschlägen konkreter
Forschungsprojekte stellt Petzolds "Supervision auf dem Prüfstand" dar (2003).
Diese "problematisierende" Bestandsaufnahme konstatiert eine notwendige
Stärkung und Professionalisierung des wissenschaftlichen Fundaments der
Disziplin Supervision (2003, 17). Bisherige Versuche und Untersuchungen die
das Ziel verfolgen, Effekte von Supervision zu belegen, werden einer kritischen
Betrachtung unterzogen und münden im Befund, "dass der Wissensstand zur
Wirksamkeit (effectivness) oder zur Wirkung (efficacy) noch zu gering ist, um
54
klare, generalisierbare und gültige Aussagen über die Wirksamkeit,
Wirkungen/Nebenwirkungen, Wirkweisen von Supervision machen zu können"
(2003, 197).
Bergknapp nennt in seinem zusammenfassenden Überblick der
Supervisionsforschung drei Gründe für die mangelhafte wissenschaftliche
Bearbeitung von Wirkungsnachweisen: erstens die allgemeine Zurückhaltung
gegenüber quantitativen Methoden; zweitens der nach wie vor gepflogene
Glaube an das Allheilmittel Supervision, der weiterhin aufrechterhalten werden
kann, "wenn fundierte empirische Ergebnisse zur Entmystifizierung fehlen"
(2007, 7); drittens die Abneigung von Supervisor/innen gegen externe
Evaluationsbestrebungen, die in ihrer Wahrnehmung als Kontrolle
Unsicherheiten und Ängste auslösen können und folglich die
Kooperationsbereitschaft in Grenze halten (2007, 7-8; vgl. auch Möller, 2001,
84-85).
Auffällig ist zweifellos der Widerspruch zwischen dem evidenten Mangel
wissenschaftlich legitimierter Resultate zur Wirkungsforschung und der den
Beratungsformaten inhärente methodische Anspruch der permanenten
Erkundung von Wirksamkeit in Form von Feedback- und Auswertungspraktiken
in Beratungsprozessen.
Einen umfassenden Überblick über Forschungsprojekte, die sich dem Thema
Nutzen bzw. Wirkung von Supervision widmen, stellt die Zusammenstellung von
Brigitte Hausinger dar (vgl. 2008). Ihre Auflistung dokumentiert 58
ausgewerteten Befragungen und Studien aus 19 unterschiedlichen
Berufsfeldern, die von der Arbeitsintegration bis zum Versicherungswesen
reichen (vgl. 2008, 8). Die vorliegenden Untersuchungen können nur sehr
bedingt miteinander verglichen werden, da sie sich hinsichtlich ihrer Dimension,
ihren Voraussetzungen, ihren Methoden und ihren konkreten Zielsetzungen
stark unterscheiden. Dennoch lassen sich aus den Evaluationen und
wissenschaftlichen Arbeiten einige gemeinsame Dimensionen in Bezug auf den
55
Nutzen von Supervision generieren (2008, 8). Als wesentliche Wirkfelder
werden Kooperation, Berufliche Kompetenz und Entlastung identifiziert (vgl.
2008, 9).
Der hier beschriebene Blick in die Forschung zeigt eine Auswahl von Ansätzen
und Versuchen, welche in unterschiedlichen Feldern und unter
unterschiedlichen Prämissen unternommen wurden um Wirkung, Wirksamkeit
und Nutzen von Supervision und Coaching zu untersuchen. Daraus lassen sich
folgende Schlüsse ziehen:
Die Wirkungsforschung stellt nach wie vor ein ergiebiges und wichtiges
Feld der Supervisionsforschung dar um die Formate als wissenschaftlich
gerechtfertigte Beratungsleistung zu untermauern (vgl. Haubl, 2007, 13)
Neben eingehenden, wissenschaftlich fundierten Wirkungs- und
Effizienznachweisen ist gleichermaßen die Aufklärung und Verbreitung
grundlegender Informationen über Funktion und Potential der
Beratungsformate in Betracht zu ziehen
Es hat sich bislang kein wissenschaftliches Verfahren etabliert, mit
welchem sich das Veränderungspotential erforschen ließe. Am ehesten
darf diesbezüglich die Methode der Triangulation angeführt werden um
die Theorieentwicklung voranzutreiben (vgl. Bergknapp, 2007, 10; Haubl,
2007, 16; Petzold, 2003, 175). Es handelt sich hierbei um eine
Kombination unterschiedlicher quantitativer und qualitativer Methoden
um ein glichst umfassendes Gesamtbild eines sozialen Gegenstands
zu erhalten (vgl. Diekmann, 2012, 543)
Wirkungsforschung scheint weniger davon getrieben, dass Zweifel am
Nutzen der Beratungsform an sich bestehen, sondern ist eher dem
Interesse geschuldet Wissenschaftlichkeit und in weiterer Folge
Wirtschaftlichkeit zu begründen (vgl. Hausinger, 2007, 54). Es geht
56
darum den von Kosten-Nutzen-Logik geprägten Anforderungen
potentieller Auftraggeber/innen zu entsprechen und sich darüber hinaus
als Disziplin zu professionalisieren und legitimieren (vgl. Bergknapp,
2007, 9; Haubl, 2007,13)
3.4. Zum Erhebungsverfahren des Phänomens Wirkung
Zwischen dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Beratungsverständnis (vgl.
3.1.) und dem Praxisfeld (vgl. 2.) stellt das Phänomen Wirkung das zentrale
Verbindungsglied der beiden Komplexe dar. Es gilt daher in der Folge den
Begriff als solchen zu definieren und hinsichtlich seiner Möglichkeiten und
seiner Grenzen in Bezug auf die Forschungsanlage zu beleuchten.
Welches Mittel auch immer verordnet wird, die Frage nach seiner Wirkung,
seiner Potenz Veränderung hervorzurufen wird stets von elementarer
Bedeutung sein. Noch eindringlicher gestalten sich die Bestrebungen in einer
jungen Wissenschaftsdisziplin wie jener der Supervisionsforschung die Wirkung
in Form fundierter wissenschaftlicher Nachweise zu untermauern:
Wir behaupten, dass Supervision wirkt. Sträuben wir uns gegen die
Erkundung dieses Wirkens, so bleiben wir im gesellschaftlichen Diskurs
im Bereich der Esoterik. Wir brauchen Forschung um Wirkungen,
Wirkweisen und möglicherweise Nebenwirkungen von Supervision
dokumentieren und absichern zu können (Schigl, 2008, 49).
In vorliegender Arbeit ist aufgrund der vorhandenen Ressourcen die
Organisation einer methodenkombinierten Versuchsanordnung, die in der
Forschungsliteratur präferiert wird, nicht möglich. Als Ansatzpunkte für die
Feststellung von Wirkung von Supervision und Coaching fungieren
57
ausschließlich die Wahrnehmungen der Interviewpersonen (vgl. Petzold, 2003,
170).
Soll Wirkung erkundet werden, erscheint die Orientierung an technisch
logischen Anordnungen auf der Basis mindestens zweier Messpunkte plausibel.
Naheliegend wäre beispielsweise die Organisation eines Beratungsprozesses,
in welchem definierte Variablen der Arbeitsqualität erfragt und zu einem
späterem Zeitpunkt erneut einer Messung unterzogen werden, um auf diese
Weise Unterschiede festzustellen (vgl. Hausinger, 2007, 51). Die Unter-
suchungsbedingungen nnten überdies neben dem System der
Supervisand/innen auch Klient/innen und/ oder Auftraggeber/innen als
Zielgruppe definieren (vgl. Petzold, 2003, 225 f.), die in diesem Berufsfeld
wie bereits gezeigt wurde wohl durch andere Personengruppen ersetzt
werden müssten.
Ein solches Prä-Post-Verfahren kann jedoch auch kritisch hinterfragt werden,
da es sich bei Reflexionsprozessen nicht um linear verlaufende Denkvorgänge
handelt. Auch die Definition von festen Variablen unterliegt einer Vielzahl von
Einflussfaktoren, die sich im Verlauf dynamischer und komplexer
Bearbeitungsprozesse verändern können, ebenso wie die Definition von
Fragestellungen und Zielformulierungen (vgl. Möller, 2001, 85-86). Ähnlich
kritisch äußert sich Hausinger zu naturwissenschaftlich inspirierten
Forschungsansätzen, die sie r die Erforschung von Wirkung nicht umsetzbar
hält, und dadurch der Anspruch auf Eindeutigkeit aufgegeben und ein
gewisses Maß an Zweifel, Unsicherheit und Ungewissheit ertragen
werden muss (2007, 53).
Nachdem in der hier dargestellten Forschungsanlage nicht von zwei
Messpunkten ausgegangen wird, liegt der Wirkungserhebung die einmalige
Situation eines Gesprächs zugrunde. Die vorliegenden Rahmenbedingungen
gestatten eine einfache Anordnung, die im Wesentlichen auf den subjektiven
Wahrnehmungen und Beschreibungen der erlebten Effekte seitens der
58
Interviewpersonen beruhen (vgl. Hausinger, 2007, 50). Es wird in Form eines
qualitativen Ansatzes ein möglichst offener und kommunikativer Zugang
gewählt um Daten zu erhalten.
Es gilt im Rahmen eines Gesprächs Veränderungen auf unterschiedlichen
Wirkfeldern (vgl. 5.7.4.), die der Anwendung reflexionsorientierter Beratung
zugeordnet werden, retrospektiv zu erkunden. Der Forschungsfokus liegt auf
Wirkung, die durch nähere Betrachtung in Wirkebenen subsummiert werden.
Nicht eingegangen wird hingegen auf Wirkfaktoren, die Elemente erfolgreicher
Supervisionsprozesse ausgehend von der Person von Supervisor/innen
untersuchen (vgl. Schigl, 2007, 41-49). Sowohl die jeweilige betriebliche
Situation wie die zeitliche, personale und inhaltliche Ausgestaltung der
Beratungsprozesse sind singulär und individuell. Es handelt sich nicht um eine
Analyse von Beratungsprozessen, sondern vielmehr um einzelne Moment-
aufnahmen mit dem klaren Fokus auf die Wirkung der Beratungsformate für die
betriebsrätliche Praxis.
Unter Wirkung werden sämtliche Veränderungen verstanden, die von den
Interviewpersonen auf die Anwendung eines der Beratungsformate
zurückgeführt werden, sie umfassen intendierte Veränderungen, die auf der
Grundlage von Zielformulierungen und geäußerten Anliegen erreicht wurden,
ebenso wie nicht intendierte Veränderungen. Wirkungen können sowohl positiv
wie negativ wahrgenommen werden. Relevante Veränderungsphänomene
werden von Schreyögg sowohl in Supervisions- wie auch in Coachingprozessen
in der Umstrukturierung und der Erweiterung von Deutungs- und
Handlungsmustern gesehen. Neuentwicklungen erfolgen durch
Rekonstruktionsarbeit spontan oder gezielt und aktualisieren das Repertoire an
Handlungsoptionen (vgl. Schreyögg, 1992, 109; Schreyögg, 2012, 200). Die
Wirkung von Beratung manifestiert sich einerseits in handfesten, greifbaren
Veränderungen, die sich in der konkreten beruflichen Praxis niederschlagen
und andererseits in der inneren Transformation von Wahrnehmungs-, Denk-
und Deutungsmechanismen.
59
Darüber hinaus stellen Anordnung und Strukturierung von Wirkung durch die
Festlegung von Wirkebenen (Wirkflächen) ein Differenzierungskriterium dar.
Und schließlich wird der Frage, ob Wirkung als vorteilhaft und gewinnbringend
für die berufliche Praxis wahrgenommen wird, eine hohe Bedeutung
beizumessen sein, da Wirkungsforschung letztendlich immer Aussagen über
die Qualität von Wirkung zu treffen hat.
3.5. Zum Forschungsstand der Anwendung der Beratungsformate im Feld
Die Anwendung von Supervision und Coaching im Arbeitsfeld betrieblicher
Interessenvertretungen in Österreichisch ist bislang wenig beforscht, die
Forschungsliteratur dementsprechend überschaubar.
Über die Pionierphase von ersten Supervisionsangeboten in der Betriebsrats-
arbeit durch die Gewerkschaft der Privatangestellten Mitte der Neunziger Jahr
berichtet Gerald Musger in einem Beitrag mit dem Titel Erfahrungen einer
skeptischer Annäherung. Der vielsagenden Überschrift folgt ein Untertitel, der
die Implementierung ins Feld kritisch bilanziert: Die Beziehungen zwischen
Betriebsrat und Supervision sind ausbaufähig (2008, 14). In den Jahren von
1995 bis 2001 stellte die Gewerkschaft der Privatangestellten Betriebsrät/innen
Team-, Gruppen - und Einzelsupervision im Rahmen ihres Bildungsprogramms
zur Verfügung. Die Fremdartigkeit des Phänomens Supervision in der
Betriebsratskultur umschreibt Musger als Schnuppern in fremden Welten
(2008,14). Seine Erfahrungen im Zuge dieses Projekts veranschaulichen, dass
Reflexion als Bearbeitungsmodus oftmals zu Irritation führt und den üblichen
erfahrungs- und lösungsorientierten Handlungsmustern von Betriebsrät/innen
widerspricht (2008,15). Musger leuchtet eine Vielzahl an Aspekten aus, die im
Zuge von Supervisionsprozessen ausgelöst wurden: das sukzessive
Aufbrechen gängiger Rollenbilder, das Anerkennen von Widersprüchen, der
Verlust einfacher Lösungen anstelle einer Vermehrung an Möglichkeiten, das
Realisieren von Macht und Ohnmacht bis hin zur Infragestellung der
60
persönlichen Lebensperspektive, die dann zuweilen auch mit einem bewussten
Abschied von der Betriebsratsarbeit einhergeht (2008,17). Im Zuge eines
innergewerkschaftlichen Reorganisationsprozesses fällt das Angebot für
Supervision r Betriebsrät/innen aus dem Bildungsprogramm, aufrecht bleibt
lediglich die Empfehlung von Supervision (2008,14).
Doris Formanns Betriebsräte und Betriebsrätinnen bei Veränderungen
begleiten ist die zentrale Forschungsarbeit, die die Möglichkeiten und Grenzen
von Supervision und Coaching im Arbeitsfeld von Betriebsrät/innen in
Österreich umfassend thematisiert (2011). Ähnlich wie Musger führt sie ihre
praktische Beratungstätigkeit mit Betriebsrät/innen in der AK Oberösterreich
sowie ihre Einschätzung der Notwendigkeit theoriegeleiteter reflexiver
Beratungsangebote (2011,19) zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit der
sozialen Situation von Betriebsrät/innen. Im Mittelpunkt ihrer Forschungen steht
die Verortung der betrieblichen Interessenvertretung im Unternehmen, die sich
ihr stellenden Herausforderungen, ihr Verhältnis zur Gewerkschaft sowie die
Rolle von Betriebsrätinnen in einem traditionell männerdominierten Arbeitsfeld.
Das Hauptinteresse gilt der Beforschung des spezifischen Unterstützungs-
bedarfs von Betriebsrät/innen und inwieweit hierbei Supervision und Coaching
hilfreich sein können.
Das Forschungsdesign stützt sich auf qualitative Interviews, einer
Zwischenauswertung, Hypothesenbildung und einen Rückkopplungsprozess.
Das Sampling besteht im Wesentlichen aus Betriebsrät/innen eines
oberösterreichischen Industriebetriebs, die nicht unbedingt supervisions-
erfahren sein mussten, da Formann nicht darauf abzielt die Beratungsformate
zu legitimieren, sondern um deren Möglichkeiten zur Abdeckung eines zu
erforschenden Beratungsbedarfes auzuloten (2011, 167). Die drei zentralen
Ergebnisse ihrer Forschung lauten: Die Vielfalt der Rollenanforderungen an
Betriebsrät/innen führt zu Überforderung, die den Wunsch nach Reflexion nach
sich ziehen. Zweitens werden die Phänomene der Vereinzelung und Einsamkeit
als charakteristische betriebrätliche Gefühlslagen angeführt, die das Bedürfnis
61
wecken sich in Gruppen auszutauschen. Und drittens erfordern geringes
Wissen und mangelnde Reflexion zur Situation von Männern und Frauen in
betriebsrätlichen Positionen die Vermittlung fundierter theoretischer und
wissenschaftlicher Erkenntnisse (vgl. 2011, 259-263).
Wird von der Existenz thematisch einschlägiger Literatur auf die Intensität der
Verankerung reflexiver Beratungsformate in der Betriebsratsarbeit in Österreich
geschlossen, so scheint die Pionierphase jedenfalls noch nicht abgeschlossen
zu sein. Als Gründe für die geringe wissenschaftliche Beforschung von
Supervision und Coaching im Arbeitsfeld von Interessenvertretungen können
vermutet werden:
Die praktische Verwendung von Supervision und Coaching ist in der
betriebsrätlichen Arbeitswelt wenig verbreitet
Wird Beratung in Anspruch genommen findet diese in diskretem Rahmen
statt, da diese nicht dem originärem Raum der Betriebsratsarbeit
zugeordnet wird
Die Beratungsformate besitzen einen geringen Stellenwert in der
gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in Hinblick auf Qualifizierung und
Professionalisierung von Betriebsratsarbeit
Möglicherweise liegt es auch an Berater/innen, die den komplexen
Anforderungen betrieblicher Interessenvertretungen im Kontext von
Unternehmen und Organisationen zu wenig Beachtung schenken (vgl.
Fellermann, 2011, 26)
Wesentlich vielfältiger gestalten sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung
mit reflexiven Beratungsformen und ihre praktische Implementierung in die
Betriebsratsarbeit in Deutschland. Zum einen stehen generell für die
Beforschung betrieblicher Interessenvertretungen wesentlich mehr Mittel zur
Verfügung. Von großer Bedeutung hierbei ist die Hans-Böckler-Stiftung. Sie ist
eine gemeinnützige Forschungseinrichtung des Deutschen Gewerkschafts-
bundes, die sich vor allem der Stärkung und des Ausbaus von Mitbestimmungs-
62
rechten verpflichtet hat. Die Hans-Böckler-Stiftung fördert wirtschafts- und
sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte und nimmt sowohl in der
Beforschung wie in der Professionalisierung der Arbeit von Betriebsrät/innen
eine herausragende Stellung ein.
8
Zum anderen existiert in Deutschland
zwischen den Feldern Beratung und Interessenvertretung bereits eine
Geschichte des Dialogs, die sich sowohl in institutionellen Kontakten als auch
personellen Vernetzungen manifestiert (vgl. Fellermann, 2011, 25).
Vor dem Hintergrund einschneidender Veränderungen in der Arbeitswelt
gewinnt die Anwendung innovativer Beratungsformen an Bedeutung und
firmiert im Arbeitsfeld betrieblicher Interessenvertretungen unter dem Leitbegriff
reflexiv-strategische Beratung (vgl. Tietel, Kunkel-van Kaldenkerken, 2011,7).
Der Begriff der Reflexivität erfährt eine eingehende Erörterung und wird von
Pongratz als Nachdenken über aktuelle Handlungsanforderungen im
systematischen Abgleich mit Voraussetzungen und Folgen vorangegangener
Handlungen definiert (2011,31). Das strategische Moment verweist auf die
aktive, gestaltende und zukunftsorientierte Ausrichtung des Handelns auf der
Grundlage von Zielen und Visionen. Neben Supervision als Prototyp reflexiver
Beratung werden eine Reihe verwandter reflexiv-strategischer Beratungs-
konzepte wie Konfliktbearbeitung, Mediation, Teamentwicklung, Organisations-
beratung angeführt und anhand ausführlicher praxisbezogener Beiträge
ausführlich dokumentiert (Tietel, Kunkel-van Kaldenkerken, 2011).
Von besonderem Interesse für vorliegende Thematik ist eine umfassende
Darstellung eines Gruppencoachings für Betriebsratsmitglieder. Bernhard Pöter
entwirft ein praxisnahes Bild vom gruppendynamischen Potential dieses
Settings und gibt detaillierte Einblicke in seine methodische Arbeitsweise (vgl.
2011, 187-205). Auch Elge Wörners Ausführungen rekurrieren auf den Wandel
der Arbeitswelt, der es notwendig macht die Ausbildung fachlichstrategischen
Kompetenzen von Betriebsrät/innen stärker zu fördern. Er plädiert für eine
8
Vgl. hierzu https://www.boeckler.de/index; [Zugriff: 26.3.2018]
63
Neudefinition des betriebsrätlichen Rollenverständnisses, die verstärkt
Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen in den Fokus rückt (vgl. 2011, 210-
211).
Verwiesen werden soll auch auf diverse Beiträge in der Zeitschrift Supervision
2008/1, die den Themenbereich reflexiver Beratung und betrieblicher
Interessenvertretung behandeln (vgl. 2008).
64
4. Die Verbreitung der Beratungsformate
Der zentrale Ausgangspunkt des empirischen Teils vorliegender Arbeit bildet
eine Befragung von Betriebsrät/innen mit den Zielsetzungen, erstens
empirische Daten über den Verbreitungsgrad der Beratungsformate
Supervision und Coaching in der betriebsrätlichen Praxis zu erheben und
zweitens Interviewpersonen mit einschlägiger Beratungserfahrung zu
rekrutieren um die Wirkung der Beratungsformen in ihrer praktischen
Anwendung zu erkunden.
4.1. Wahl der Methode
Um wissenschaftlich relevante Informationen zum Verbreitungsgrad der
praktischen Anwendung der Beratungsformate im Arbeitsfeld betrieblicher
Interessenvertretungen zu erhalten, wurde das sozialwissenschaftliche
Verfahren der computerunterstützten schriftlichen Befragung gewählt (Scholl,
2009, 53-54). Diese Methode wird als geeignet erachtet, um über die Häufigkeit
eines Phänomens in einer speziellen Zielpopulation aussagekräftiges Material
herzustellen. Das Ziel sozialwissenschaftlicher Befragungen besteht nach
Scholl darin, "durch regulierte (einseitig regelgeleitete) Kommunikation reliable
(zuverlässige, konsistente) und valide (akkurate, gültige) Informationen über
den Forschungsgegenstand zu erfahren (2015, 22). Den genannten
Qualitätskriterien soll durch folgende Vorgangsweise Rechnung getragen
werden: Als Grundlage für die Anwendung dieser quantitativen Methode wurde
ein standardisierter Fragebogen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten
gewählt (Fragebogen siehe Anlagen). Der Fragebogen ist schlank und enthält
möglichst unmissverständliche und einfach gehaltene Formulierungen. Die
Konzeption des Fragebogens soll gewährleisten, die Ergebnisse nach
unterschiedlichen thematischen Gesichtspunkten und demographischen
Kriterien verknüpfen und vergleichen zu können. Die Teilnahme an der
65
computerunterstützten schriftlichen Befragung gewährt den Teilnehmer/innen
Anonymität.
Die Zielpersonen sind in einem Arbeitsfeld tätig, in welchem Kommunikations-
und Informationsaustausch in großem Maße über elektronische Medien laufen
und die Verwendung von Internet und E-Mail als selbstverständlich
angenommen werden darf. Es wurde daher davon ausgegangen, dass die
Entscheidung für eine Online-Befragung keine exkludierenden Effekte zeitigen
sollte. Für Diekmann gilt sie als adäquate Vorgangsweise, wenn eine
umfassende Liste von E-Mail Adressen ihre Grundlage bildet (vgl. 2012, 530).
Ein weiterer Vorteil dieses Instruments ist darin zu sehen, dass mit relativ
geringem Aufwand eine große Anzahl von Personen mittels E-Mail erreicht
werden können. Ein Nachteil hingegen stellt der Umstand dar, dass sich die
Rücklaufquote bei Online-Umfragen erfahrungsgemäß in Grenzen hält.
9
Als Erfolgsfaktoren einer gelungenen Umfrage gelten nach Scholl neben der
Methodenkompetenz der forschenden Person und der Relevanz und Aktualität
des jeweiligen Themas das Interesse und die Kooperationsbereitschaft der
Zielpersonen (vgl. 2015, 22). Interesse und Aktualität des Themas sind
abhängig von der individuellen Situation der Zielpersonen und lassen sich kaum
beeinflussen. Versucht wurde erstens durch eine ansprechende und einfache
Gestaltung des Umfragedesigns und zweitens durch wenige, möglichst klare
und kurz gehaltene Fragestellungen den Zugang und die Teilnahme zu
erleichtern. Kürze und Prägnanz sollten auch den Text auszeichnen, mit dem
die Zielpersonen zuerst angesprochen werden. Das Begleitschreiben beinhaltet
grundlegende Informationen zu Thema und Ziel, verweist auf den persönlichen
Bezug des Autors zur Zielgruppe und enthält den Link zur Umfrage.
Hinzuweisen ist auch darauf, dass es sich bei der die Befragung durchführende
Einrichtung um eine den Zielpersonen bekannte und vertraute Institution
9
Ausführliche Darstellungen zu den Vor- und Nachteilen von Online-Befragungen finden sich
bei Diekmann (vgl. 2012, 520-523) und Scholl (vgl. 2009, 57).
66
handelt, von der angenommen werden darf im Interesse der Zielgruppe zu
agieren.
4.2. Kooperationspartner und Zielgruppe
Um geeignetes Datenmaterial zielgruppenrelevanter Adressaten akquirieren zu
können, war von Anfang an klar, dass eine glichst enge Kooperation mit
einer Arbeitnehmerorganisation eine wesentliche Voraussetzung für eine
fundierte Erhebung darstellen würde. In Frage hierfür kamen in erster Linie
einzelne Fachgewerkschaften, der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB)
als deren Dachorganisation und natürlich die unterschiedlichen Abteilungen der
Kammer für Arbeiter und Angestellte (AK). Die angeführten Organisationen
verfügen über relevantes Datenmaterial, da ihnen im Zuge von
Neukonstituierungen von Betriebsratskörperschaften Datensätze der gewählten
Betriebsratsmitglieder zu übermitteln sind (vgl. ArbVG § 66 Abs.8). Die
Eingrenzung und die Definition der Zielgruppe würden also jedenfalls auf
Grundlage des zur Verfügung gestellten Datenmaterials gemeinsam mit der
Partnerorganisation vorzunehmen sein. Es wurde davon ausgegangen, dass
sich die Zielgruppe entweder durch regionale oder branchenspezifische
Grenzziehungen definieren werde.
Die erste Kontaktaufnahme erfolgte mit der Abteilung Betriebswirtschaft der AK
Wien. Ein wesentlicher Aufgabenbereich dieser Abteilung besteht darin, im
Rahmen der Institution Aufsichtsrat - Mitbestimmung (IFAM) Arbeitnehmer-
vertreter/innen, die Funktionen in einem Aufsichtratsorgan ausüben, fach-
spezifisch zu beraten, Bilanzanalysen zu erstellen und Betriebsrät/innen durch
ein breites Sortiment einschlägiger Bildungsmaßnahmen auf ihre Funktion
vorzubereiten und ihnen mit Fachexpertise zur Seite zu stehen. Bei der
Kontaktaufnahme wurde von der Annahme ausgegangen, dass die
Beschäftigung mit prozess- und reflexionsorientierten Beratungsansätzen in
einem von Fachberatung dominierten Arbeitsfeld auf Interesse stoßen könnte
67
und ein breit aufgefächertes Datenmaterial der Betriebsratslandschaft in
Österreich vorliegen würde.
Der Erstkontakt erfolgte per E-Mail. Es stellte sich heraus, dass sowohl
persönliche wie organisationale Erfahrungswerte mit diesen Beratungsformen
vorliegen, und "aufgrund der sich verändernden und komplexer werdenden
Problemlandschaft von Betriebsrät/innen durchaus Interesse besteht einen
Blick hinter die Kulissen zu werfen" (Zitat aus dem E-Mail Verkehr mit Heinz
Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien). Es folgten drei
Termine, in welchem nochmals Aufbau und Zielsetzung der Forschungsarbeit
erläutert und eine Vorgangsweise bezüglich des Ablaufs der Umfrage
abgestimmt wurde. Von Seiten der AK wurde ein Zugang zu entsprechender
Befragungssoftware zur Verfügung gestellt, mit welcher ein computer-
unterstützter Fragebogen erstellt werden konnte. Vereinbart wurde, dass die
Zielpersonen per E-Mail mittels Begleitschreiben durch die AK Wien kontaktiert
und durch Anklicken des entsprechenden Links eingeladen werden an der
Befragung teilzunehmen.
4.3. Beschreibung des Samplings
Das Sampling beruht auf dem von der AK Wien zur Verfügung gestellten
Datenmaterial und setzt sich aus zwei Komponenten zusammen. Die erste
Komponente besteht aus allen Arbeitnehmervertreter/innen in Aufsichtsräten,
die laut Compass Firmenbuch aktuell gelistet sind, die zweite aus allen in
Funktion stehenden Betriebsrät/innen, die an IFAM Kursen teilgenommen
haben. Allfällige Doppelnennungen wurden vom System bereinigt.
Die Zusammensetzung österreichischer Aufsichtsräte besteht aus zwei Drittel
Eigentümer- bzw. Kapitalvertreter/innen und einem Drittel Arbeitnehmer-
vertreter/innen, deren Entsendung im § 110 ArbVG sowie der präzisierenden
Durchführungsverordnung, der Aufsichtsratsverordnung 1974 (ARVO) geregelt
68
ist. Im Compass Firmenbuch befinden sich alle protokollierten Unternehmen
Österreichs samt ihren Funktionsträger/innen auf tagesaktuellem Stand.
10
Durch die Miteinbeziehung von IFAM Absolvent/innen erweitert sich der Kreis
der Stichprobe auf Personen, die in Betrieben tätig sind, die aufgrund ihrer
Gesellschaftsform (Gemeinnützige Vereine, Stiftungen...) nicht im Firmenbuch
aufscheinen.
Die vorliegende Stichprobe umfasst vorwiegend Mitglieder von
Betriebsratskörperschaften, die großen Unternehmen angehören. Die
Freistellung eines Betriebsratsmitglieds unter Fortzahlung des Entgelts kann in
Betrieben ab 150 Arbeitnehmer/innen erfolgen (ArbVG 117). Ihre Entsendung in
den Aufsichtsrat lässt darauf schließen, dass sie Schlüsselpositionen in ihrem
Betriebsratsgremium besetzen. Es kann aufgrund der beschriebenen Auswahl-
kriterien also davon ausgegangen werden, dass ein sehr großer Teil von
Betriebsrät/innen erfasst werden konnte, die ihre Funktion auf Basis der
gesetzlich vorgesehenen Freistellung ausüben, also ihre Arbeitszeit weitgehend
oder ausschließlich der Betriebsratstätigkeit widmen. Im Sampling nicht
enthalten sind Belegschaftsvertretungen aus dem öffentlichen Dienst, da diese
nicht in den Vertretungsbereich der AK fallen.
Die zentrale Forschungsfrage bezieht sich auf die Anwendung bestimmter
Beratungsformate in der betriebsrätlichen Praxis. Es erscheint daher an dieser
Stelle naheliegend den Terminus der betriebsrätlicher Praxis im
Zusammenhang mit der hier beschriebenen Zielgruppe zu diskutieren. Die
Eingrenzung des ins Auge zu fassenden Personenkreises hinsichtlich der
Stichprobe erfolgt zunächst auf der Grundlage der Definition von Funktions-
träger/innen (Betriebsratsmitglieder, Betriebsratsvorsitzende, freigestellte
Betriebsrät/innen). Wird diese Form der Definition um den Aspekt des
praktischen funktionsbezogenen Handelns erweitert, so hat dies zur Folge,
dass nicht ausschließlich freigestellte Arbeitnehmervertreter/innen mitein-
bezogen werden. Inkludiert werden gemäß dieser Definition Personen, die in
10
Vgl. https://compass.at/de/firmen-information/firmen-compass; [Zugriff: 9.12.2017]
69
Teilfreistellungen ihrer Vertretungsfunktion nachgehen, aber auch nicht
freigestellte Betriebsratsmitglieder, die in erheblichem Ausmaß in betriebs-
rätliche Agenden eingebunden sind.
Diese Grenzziehung kann natürlich nicht haarscharf gezogen werden, da die
Anzahl der Personen, die für die Betriebsratstätigkeit nicht freigestellt sind, ihre
Funktion also neben ihren beruflichen Pflichten als Ehrenamt ausüben, jedoch
durch hohes Eigenengagement und/oder spezielle betriebliche Konstellationen
in ihrer Funktion stark gefordert werden und zumindest phasenweise intensiv in
Interaktionen betriebsrätlicher Praxis involviert sind, variiert und nie genau
bestimmt werden kann. Nichtsdestotrotz wird dieser - wenngleich auch niemals
exakt fassbare - Personenkreis der Zielgruppe zugerechnet. Diesbezüglich ist
es auch von Interesse, dass die Anzahl freigestellter Betriebsrät/innen nicht
exakt eruiert werden kann, da Freistellungen über das Unternehmen hinaus
keinerlei Meldepflicht unterliegen. Diese Darstellungen schärfen zwar nicht die
Erfassung der Zielgruppe, präzisieren aber die reale Praxis von
Betriebsratsarbeit, deren Triebfedern in vielen Fällen hohes Engagement und
persönlicher Einsatz sind.
11
Es kann abschließend resümiert werden, dass eine exakte Definition der
potentiellen Zielgruppe weder über funktionelle Termini wie beispielsweise
jenen der Freistellung und noch weniger über die Begrifflichkeit der
betriebsrätlichen Praxis präzise vorgenommen werden kann. Es kann sich
folglich immer nur um Annäherungswerte handeln, wobei die beschriebenen
Grundlagen der Stichprobenziehung nahe legen, dass es sich hierbei um eine
weitgehende Erfassung österreichischer Betriebsrät/innen mit hohem
Praxisbezug im nichtöffentlichen Bereich handelt.
11
Bezüglich der Datenlage von Betriebsratskörperschaften und die Problematik ihrer exakten
Erfassung vgl. Hermann & Flecker, 2006, 7-9
70
4.4. Entwicklung des Fragekatalogs und Begleitschreibens
Das Betreff des E-Mails und der Inhalt des Begleitschreibens stellen den
Erstkontakt mit der Zielgruppe dar (Begleitschreiben siehe Anlagen). Mit dem
Öffnen des E-Mails und dem ersten Eindruck fällt die Entscheidung, ob der Text
weiter gelesen wird, in weiterer Folge in die Befragung eingestiegen oder der
Kontakt abgebrochen wird. Es galt daher im Betreff Anliegen und Thema auf
den Punkt zu bringen und das Begleitschreiben möglichst klar, informativ und
einladend zu gestalten. Im Betreff wird deutlich gemacht, dass es um das
Thema Supervision in der Betriebsratsarbeit geht. Auf Kosten einer präzisen
und umfassenden Beschreibung wurde bei der Wahl des Terminus des
Beratungsformats lediglich der Begriff der Supervision angeführt, da
angenommen wurde, dass dieser zu weniger missverständlichen Deutungen
führt als jener des Coachings. Der zweite Begriff der Betriebs-
ratsarbeit umreißt unmissverständlich das Einsatzgebiet des Instruments
Supervision. Auf den Begriff Umfrage wurde im Betreff bewusst verzichtet, da
zu vermuten war, dass diese Erstinformation für manche Person als Signal zum
abrupten Ausstieg wahrgenommen werden könnte.
Das Ziel des Begleitschreibens war es, eine möglichst hohe Wirkung auf die
Beteiligung an der Umfrage zu erreichen und zugleich eine möglichst niedrige
Beeinflussung auf das Umfrageverhalten der Zielpersonen zu gewährleisten. Es
galt einerseits Interesse zu wecken und andererseits eine neutrale Information
zu Thema und Intention zu vermitteln. Weiters sollten die Zielpersonen über
den persönlichen wie beruflichen Bezug des Autors zu Thema und Zielgruppe
informiert werden. Sowohl die Nähe zur Organisation, die die Umfrage durch-
führte wie die kollegiale Verbindung zwischen Zielpersonen und Forscher
können als vertrauensbildende Begleiterscheinungen gesehen werden.
Im Fokus dieser Arbeit stehen zwei Fragen, die der Verbreitung und die der
Wirkung reflexionsorientierter Beratungsformate. Bei einer entsprechenden
Beteiligung würde das Datenmaterial hierzu ausreichen um erstens empirisch
71
untermauerte Aussagen zur ersten Frage treffen zu können und zweitens
Personen mit einschlägiger Beratungserfahrung für Interviews rekrutieren zu
können. Zusätzlich sollten auch grundlegende demographische und berufs-
bezogene Informationen erhoben werden. Das Fragespektrum wurde Schritt um
Schritt weiter entwickelt, um auch Informationen zu Wissen, Erfahrung,
Bekanntheitsgrad, Relevanzeinschätzung und Interesse an diesen
Beratungsformen zu erhalten. Über das zentrale Erkenntnisanliegen hinaus galt
es auch relevante Zusatzinformationen zu gewinnen, die gleichermaßen als
Variablen fungieren um die Forschungsfrage aus unterschiedlichen Blickwinkeln
beantworten zu können.
Die Umfrage besteht aus 13 Fragen, die auf drei Abschnitte aufgeteilt wurden.
Die ersten beiden Teile bestehen aus thematischen Fragen, im dritten Abschnitt
werden soziodemographische Daten abgefragt. Bei der vierten Frage im ersten
Teil handelt es sich um eine Gabelungsfrage, die sich auf die praktische
Erfahrung mit den Beratungsformaten bezieht. Zielpersonen, die diese Frage
mit Nein beantworten überspringen die vier folgenden und landen bei der ersten
Frage des dritten Teils. Zielpersonen, die die Frage bejahen, werden nach der
Art des Settings und ihrer grundsätzlichen Bereitschaft befragt r ein Interview
zur Verfügung zu stehen. Zusätzlich werden sie nach etwaigen Vorerfahrungen
und dem Grad ihrer Beratungserfahrung befragt.
Mit der ersten Frage werden die Zielpersonen ersucht eine Selbsteinschätzung
ihres Wissens über diese Beratungsformate vorzunehmen. Die Frage zielt
darauf ab Informationen zum Bekanntheitsgrad zu erhalten sowie Vertrautheit
und Geläufigkeit mit diesen Formen der Beratung zu eruieren. Durch die Wahl
des Begriffs Bekanntheit sollen Informationen zum vorhandenen Wissen über
die Beratungsformate im Feld generiert werden ohne jedoch Assoziationen
schulischer Wissensabprüfung zu wecken. Durch Beantwortung der zweiten
Frage sollen Informationen darüber gewonnen werden, inwiefern die Beratungs-
formen grundsätzlich r das Feld der Betriebsratsarbeit als bedeutsam und
nützlich eingeschätzt werden. Mit der dritten Frage gilt es, das persönliche
72
Interesse an den Beratungsformaten zu ermitteln in ihrer Funktion als
Betriebsrat/rätin. Im dritten Abschnitt werden neben den demographischen
Variablen Geschlecht, Alter, Bundesland auch berufsbezogene Daten wie die
Dauer der Betriebsratsfunktion und die Branchenzugehörigkeit erhoben.
4.5. Pretest
Da es sich bei diesem Befragungsverfahren um ein einmaliges und irreversibles
Großereignis handelt, erschien es angebracht einen Testlauf vorzuschalten um
das entworfene Instrument auf seine Praxistauglichkeit hin zu überprüfen (vgl.
Scholl, 2009, 203-206 sowie Atteslander, 2010, 295-297).
Es wurde eine Stichprobe von zehn Personen festgelegt, die zum einen aus
Betriebsrät/innen und zum anderen aus dem gewerkschaftlichen Arbeitsfeld
nahe stehenden Personen bestand. Ergänzt wurde dieser Kreis um zwei
Personen, die keinerlei Bezug zum vorgegebenen Arbeitsfeld haben. Durch die
Auswertung der Rückmeldungen konnten einige stilistische wie orthographische
Ungenauigkeiten behoben werden. Eine essentielle technische Änderung ergab
sich im Austausch mit der AK Wien. So wurde Frage acht dahingehend
abgeändert, dass potentielle Interviewpartner/innen aufgefordert wurden durch
Angabe ihrer Kontaktdaten aktiv aus der Anonymität herauszutreten um ihre
Bereitschaft r ein Interview kundzutun. Die Rückmeldungen erbrachten die
Gewissheit, dass der Aufbau als stringent und die Fragen als klar und
verständlich formuliert wahrgenommen wurden. Das Zeitbudget zum Ausfüllen
entsprach der Angabe und der Einstieg in die Befragung, der über einen
eigenen Link erfolgte, funktionierte reibungslos.
Dass es sich bei Umfragen nicht lediglich um sozialwissenschaftliche
Informationsgeneratoren handelt, sondern diese auch ein gewisses Maß an
Interventionspotential besitzen, veranschaulichen zwei Folgeepisoden des
Pretests, die auf das Interesse und die Aufmerksamkeit des Themas im
73
Arbeitsfeld schließen lassen. So erkundigte sich eine Betriebsrätin im Zuge des
telefonischen Feedbackgesprächs um eine Kontaktempfehlung r Supervision,
ein Betriebsrat bat im Rahmen seiner schriftlichen Rückmeldung um ein
Informationsgespräch, da er sich schon seit einiger Zeit ein mit der Möglichkeit
eines Teamcoachings für sein Betriebsratsgremium beschäftige. In diesem
Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass bereits im Betreff des E-Mails die
explizite Koppelung der Phänomene Betriebsratsarbeit und Supervision als
Intervention betrachtet werden kann, die sich durch das kurze Eintauchen in die
einzelnen Fragestellungen noch verstärkt.
4.6. Durchführung und Rückmeldung an den Kooperationspartner
Die Entscheidung mit der Befragung noch im Oktober zu beginnen wurde
bewusst getroffen, da sich die Monate November und Dezember in vielen
Branchen durch beginnende Kollektivvertragsverhandlungen sehr intensiv
gestalten. Die Umfrage wurde am Montag, den 23.10.2017 um 9.00 Uhr an
3.537 Personen gesendet. Am ersten Tag trafen 297 Antworten ein. Die
Umfrage wurde am 5.11.2017 beim Stand von 381 Personen geschlossen.
Am 20.11.2017 wurden die Ergebnisse an den/ die Kooperationspartner/innen
rückgemeldet und besprochen. Die Rücklaufquote und die Anzahl an interview-
bereiten Personen wurden im Vergleich mit anderen Befragungen von ihnen als
hoch bewertet und als Zeichen gedeutet, dass das Thema bei der Zielgruppe
auf hohes Interesse stößt. Sie wurden über die weitere Vorgangsweise
unterrichtet und darüber informiert wie die Selektion und Kommunikation mit
jenen Personen organisiert wird, die sich für ein Interview zur Verfügung stellen.
Diskutiert wurde wann, wo und auf welche Weise die Ergebnisse an die
Zielgruppe zurückgespielt werden sollen. Vereinbart wurde, dass in der
Rückmeldung neben den Ergebnissen der Umfrage auch die Auswertung des
qualitativen Teils enthalten sein sollte und ein kompakter Bericht im Laufe des
nächsten Jahres an die Zielgruppe ergehen soll. Weiters wurde vereinbart nach
74
Fertigstellung der Arbeit die Ergebnisse einer Runde von ausgewählten
Personen aus den Bereichen der AK und Gewerkschaften zu präsentieren und
zu einer gemeinsamen Reflexion einzuladen.
4.7. Beschreibung der Ergebnisse
Die Rücklaufquote der Befragung betrug 10,8%. Nachdem es sich um eine
kurze Befragung handelt und die Ergebnisse unmittelbar im Anschluss an ihre
Darstellung diskutiert werden, werden diese der Übersichtlichkeit halber hier an
Ort und Stelle eingefügt (vgl. Atteslander, 2010, 317).
F1 Wie gut kennen Sie die Beratungsformate Supervision und
Coaching?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
sehr gut
41
11%
Gut
114
30%
nicht gut
136
36%
überhaupt nicht
90
24%
75
F2 Welche Bedeutung messen Sie den Beratungsformate Supervision
und Coaching bei?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
sehr hoch
57
15%
hoch
184
49%
weniger hoch
106
28%
nicht hoch
25
7%
F3 Wie interessiert sind Sie an diesen Beratungsformaten?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
sehr interessiert
85
23%
interessiert
197
53%
weniger interessiert
79
21%
nicht interessiert
13
3%
76
F4 Haben Sie in Ihrer Funktion als Betriebsrat/ Betriebsrätin schon
einmal Supervision oder Coaching in Anspruch genommen?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Ja
101
27%
Nein
277
73%
F5 In welchem Setting haben Sie Beratung in Anspruch genommen?
77
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Einzel-Supervision
32
19%
Gruppen-Supervision
28
17%
Team-Supervision
26
16%
Einzel-Coaching
39
23%
Gruppen-Coaching
21
13%
Team-Coaching
17
10%
Sonstiges
2
1%
F6 Haben Sie bereits vor Ihrer Funktion als Betriebsrat/ Betriebsrätin
Supervision oder Coaching in Anspruch genommen?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Ja
47
51%
Nein
46
49%
F7 Wie würden Sie Ihre Erfahrung mit diesen Beratungsformaten
einschätzen?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
sehr groß
18
20%
groß
35
38%
durchschnittlich
35
38%
gering
4
4%
78
F8 Würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung für ein persönliches Interview
zu diesem Thema zur Verfügung stehen?
Wenn ja, bitten wir Sie Ihren Namen sowie Ihre E-Mail-Adresse oder
Telefonnummer unten einzutragen.
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Ja
35
38%
Nein
57
62%
F9 Wie lange üben Sie die Funktion als Betriebsrat/ Betriebsrätin aus?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
0 - 5 Jahre
57
16%
6 - 10 Jahre
94
26%
11 - 15 Jahre
84
23%
16 - 20 Jahre
59
16%
mehr als 20 Jahre
70
19%
79
F10 In welcher Branche sind Sie tätig?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Industrie
96
29%
Energie, Wasser; Abfall
19
5%
Bau
10
3%
Gewerbe, Handwerk
7
2%
Handel
23
7%
Verkehr
16
5%
Bildung
9
3%
Gesundheits- und Sozialwesen
55
16%
Finanz-, Versicherungswesen
73
22%
Information und Kommunikation
21
6%
Gastgewerbe, Tourismus
6
2%
80
F11 In welchem Bundesland arbeiten Sie vorwiegend?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Burgenland
7
2%
Kärnten
9
2%
Niederösterreich
49
14%
Oberösterreich
72
20%
Salzburg
10
3%
Steiermark
42
12%
Tirol
18
5%
Vorarlberg
9
2%
Wien
147
40%
F12 Sind Sie männlich oder weiblich?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Männlich
261
28%
Weiblich
101
72%
81
F13 Wie alt sind Sie?
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
18-29 Jahre
5
1%
30-39 Jahre
32
9%
40-49 Jahre
104
29%
50-59 Jahre
184
51%
Über 60 Jahre
38
10%
4.8. Interpretation der Ergebnisse
Der Rücklauf von 10,8% wurde vom Kooperationspartner auf Grund der
Erfahrungen mit anderen Surveys als gut bewertet. Es kann daraus
geschlossen werden, dass das Thema bei der Zielgruppe auf Interesse stößt.
Über ein Drittel der Befragten kennt die Formate überhaupt nicht, fast ein Viertel
kennt sie nicht gut. Ein Grund für den geringen Bekanntheitsgrad der
Beratungsformate liegt möglicherweise darin, dass der Zielgruppe
nahestehende Bildungseinrichtungen diese Beratungsformate kaum oder nicht
thematisieren und demzufolge wenige Informationen über Funktion und
Potential der Beratungsformen vorliegen. Um diese Erklärung zu überprüfen,
wäre beispielsweise eine eigenständige Dokumentenanalyse diverser
82
Bildungsprogramme sämtlicher Fachgewerkschaften, Arbeiterkammern und
anderer dem Arbeitsbereich nahestehenden Institutionen von Interesse. Sowohl
die Analyse der inhaltlichen Ausrichtung gewerkschaftlicher Bildungsangebote
wie auch die Bedarfe ihrer Zielgruppen können als lohnende und aufschluss-
reiche Forschungsthemen angesehen werden.
Völlig konträr zum Gesamtergebnis nehmen sich die Bekanntheitswerte aus,
wenn diese für die Branchen Gesundheit, Soziales und Bildung dargestellt
werden.
0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 35% 40%
sehr gut
gut
nicht gut
überhaupt nicht
GM TM
Abbildung 1: Vergleich des Bekanntheitsgrads der Beratungsformate auf Basis der
Prozentwerte der Gesamtmenge (GM) mit der Teilmenge aus Gesundheits-,
Sozial- und Bildungsbereich (TM)
Über 70% der Befragten kennen die Formate gut bis sehr gut. Lediglich 30 %
nicht gut oder überhaupt nicht.
Gehören die Beratungsformate als gängige und anerkannte Verfahrensweisen
der jeweiligen Arbeitswelt an, so ist auch das Wissen darüber deutlich höher
ausgeprägt.
83
Aus den bisherigen Darstellungen ist ersichtlich, dass sich der Stellenwert von
Supervision und Coaching im Sozialbereich von den übrigen Branchen stark
unterscheidet. Es ist daher von Interesse inwiefern sich die Werte bei der
Bildung einer Teilmenge verändern, wenn Personen aus dem Gesundheits-,
Sozial- und Bildungsbereich nicht berücksichtigt werden. Die in der Tabelle
angeführten Prozentwerte für Bekanntheit, Relevanz und Interesse geben die
Summen der beiden oberen Angaben wider (sehr/gut, sehr hoch/hoch, sehr
interessiert/interessiert).
Bekanntheit
Relevanz
Interesse
Praxis
Gesamtmenge
41 %
65 %
75 %
27 %
Teilmenge
33 %
62 %
71 %
18 %
Abbildung 2: Vergleich der Fragen F1 - F4 auf Basis der Prozentwerte der Gesamtmenge
GM) mit der Teilmenge durch Exklusion des Gesundheits-, Sozial- und
Bildungsbereichs (TM)
Es zeigt sich dabei, dass die Werte r Bekanntheit und Anwendung deutlich
sinken, während sich die Werte der Relevanzeinschätzung und des Interesses
weiterhin auf ähnlich hohem Niveau bewegen. Es kann daraus geschlossen
werden, dass sich die Werte für Interesse und Relevanzeinschätzung relativ
unabhängig von den Werten von Wissen und Praxiserfahrung verhalten.
Als gängiges Unterscheidungsmerkmal zwischen beiden Beratungsformaten gilt,
dass der Begriff Supervision vorwiegend im Sozialbereich gebräuchlich ist,
während Formen reflexionsorientierter Beratung in anderen Branchen meist
unter Coaching firmieren. Es bot sich also an - ergänzend zu den formulierten
Untersuchungsvorhaben - diese terminologische, auf die Arbeitswelt bezogene
Differenzierung zu überprüfen. Hierzu wurden zwei in der Befragung stark
vertretene Branchen (Industrie, Finanzbereich) herausgegriffen, in welchen 23
Nennungen auf Supervisions- und 33 Nennungen auf Coaching - Settings
entfielen. Diese Verteilung legt die Annahme nahe, dass unter Supervision
laufende Beratung auch außerhalb des Non Profit Sektors gebräuchlich ist und
84
sich nicht ausschließlich auf Berufsgruppen aus den Gesundheits-, Sozial- und
Bildungsbereich beschränkt.
Die Bedeutung der Beratungsformate für die Betriebsratsarbeit wird von 65%
der Gesamtmenge mit hoch bis sehr hoch bewertet. Auffällig hierbei ist, dass
diese hohe Relevanzeinschätzung trotz geringer Praxiserfahrung und
unterdurchschnittlich ausgeprägtem Wissen vorgenommen wurde. So gaben
59% der Befragten an die Beratungsformate überhaupt nicht oder wenig zu
kennen.
GM
TM
Antwortoptionen
Anzahl
%
Anzahl
%
sehr hoch
57
15%
34
34%
hoch
184
50%
52
52%
weniger hoch
106
28%
12
12%
nicht hoch
25
7%
2
2%
Abbildung 3: Einschätzung der Bedeutung der Beratungsformate der Gesamtmenge (GM) im
Vergleich mit der Teilmenge bestehend aus Personen mit Beratungserfahrung
(TM)
Von speziellem Interesse ist die Einschätzung jener Personen, die bereits in
ihrem beruflichen Kontext Supervision oder Coaching in Anspruch genommen
haben. 86% der Personen, deren Einschätzungen auf praktischen Erfahrungen
beruhen, schätzen die Bedeutung mit hoch bis sehr hoch ein, dieser Wert
beträgt bezogen auf die Gesamtmenge 65%, bei Personen ohne
Beratungserfahrung beträgt dieser Wert 57%.
GM
TM
Antwortoptionen
Anzahl
Prozent
Anzahl
Prozent
sehr interessiert
85
23%
45
45%
interessiert
197
53%
43
42%
weniger interessiert
79
21%
13
13%
nicht interessiert
13
3%
0
0%
85
Abbildung 4: Interesse an den Beratungsformaten der Gesamtmenge (GM) im Vergleich mit
der Teilmenge der Personen mit Beratungserfahrung (TM)
Das Interesse an den Beratungsformaten wird von 75% der Gesamtmenge mit
hoch bis sehr hoch eingestuft. Bei Personen ohne praktische Beratungs-
erfahrung beträgt dieser Wert 71% und bei beratungserfahrenen Personen 87%.
Die Werte der Relevanzeinschätzung sowie des Interesses an den
Beratungsformaten ist generell als hoch einzustufen, wobei beide Werte im
Falle praktischer Erfahrung weiter ansteigen.
Die zentrale Forschungsfrage nach dem Grad der Anwendung der Beratungs-
formate in der betriebsrätlichen Praxis erbrachte den Wert von 26,7%. Welche
soziodemographischen Merkmale ergeben sich im Vergleich der Teilmenge
bestehend aus 101 Personen mit Beratungserfahrung zur Gesamtmenge von
381 Personen?
Hinsichtlich der Punkte Dienstdauer und Lebensalter ergeben sich
diesbezüglich keine nennenswerten Unterschiede. Bezüglich der Branchen
können folgende Aussagen getroffen werden: etwa jede zweite Person aus dem
Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich kann Beratungspraxis vorweisen, im
Bereich Industrie und Handel kann das jede vierte Person, im Bereich
Information und Kommunikation beträgt dieser Anteil 20%, im Finanz- und
Versicherungswesen sind es 14%. In absoluten Zahlen sind das Gesundheits-
und Sozialwesen sowie die Industrie klare Spitzenreiter. Die Beobachtungen
entsprechen jenen Musgers, der ebenfalls davon ausgeht, dass Beratungs-
formen, die im beruflichen Umfeld anerkannt und verwendet werden auch in die
betriebsrätliche Praxis übernommen werden (vgl. 2009, 14).
Bei der auf die Bundesländer bezugnehmende Praxisquote rangiert
Oberösterreich gemeinsam mit rnten, das jedoch aufgrund der geringen
Anzahl an Nennungen nicht repräsentativ ist, mit 33% an erster Stelle. Auch
Wien weist einen hohen Wert von 28% an beratungserfahrenen
Betriebsrät/innen auf, in Niederösterreich beträgt der Wert 22% und in der
86
Steiermark sind es 21%. Eine Erklärung für den hohen Wert in Oberösterreich
liegt wohl am speziellen Beratungsangebot, dass die AK Oberösterreich
Betriebsrät/innen viele Jahre zur Verfügung stellte. Die AK Consult unterstützte
Betriebsräte bei Veränderungsprozessen, vermittelte neben ausgewählten
Themen von Fachberatung auch Methoden aus Organisationsberatung und
Organisationsentwicklung und bot Betriebsräten prozessbegleitende Beratungs-
modelle an sowie Supervision und Coaching (vgl. Resch, 2002, 174-182).
Beachtenswert erscheint der Umstand, dass 38% dieses Personenkreises den
Grad der Beratungserfahrung als durchschnittlich einschätzt. Dies legt die
Annahme nahe, dass es sich bei diesen um kurze, sporadische oder bereits
länger zurückliegende Beratungssequenzen handeln könnte.
Von 101 Personen mit praktischer Erfahrung haben sich 35 dazu bereit erklärt
über ihre Erfahrungen mit den Beratungsformaten im Rahmen eines Interviews
Auskunft zu geben. Dieser Anteil wird als hoch bewertet, da diese Bereitschaft
mit einem Zeitaufwand verbunden ist und möglicherweise tiefere Einblicke in
die Arbeitswelt von Betriebsrat und Unternehmen gewährt. Zurückgeführt wird
diese hohe Bereitschaft einerseits auf die kollegialen Begleitumstände
(Beteiligung der AK und die Nähe des Autors zum Feld), es kann aber auch auf
das persönliche Interesse der Zielpersonen am Thema schließen lassen.
Gerald Musger, der sich in seiner Funktion als Gewerkschaftssekretär und als
ausgebildeter Supervisor für die verstärkte Implementierung reflexiver
Beratungsangebote für Betriebsrät/innen in der Gewerkschaft der Privat-
angestellten, Druck, Journalismus, Papier bereits Ende der 1990-Jahre
einsetzte, effnet seinen Erfahrungsbericht dieser skeptischen Annäherung der
Phänomene Betriebsrat und Supervision mit folgenden Worten:
Zunächst scheint ja das Angebot der Supervision, einen professionellen
Rahmen und eine professionelle Anleitung zur Reflexion einer so
komplexen, oft hoch qualifizierten und auch sehr widersprüchlichen
87
Tätigkeit wie der eines Betriebsrats oder einer Betriebsrätin zu bieten
und damit auch einen Beitrag zu leisten, wie diese Tätigkeit fachlich und
emotional besser zu bewältigen ist, punktgenau zu passen und gerade in
Zeiten wachsender Änderungen eine hohe Nachfrage auslösen zu
müssen (2009, 14).
Diese Idealpassung von Supervision bzw. Coaching und Betriebsratsarbeit
bildet sich in der Realität nur mangelhaft ab und stimmt nicht überein mit den
Umfrageresultaten der praktischen Anwendung. Welche Hürden oder Hemm-
schwellen können in Erwägung gezogen werden, um die schwache Anwendung
in einem scheinbar prädestinierten Feld zu erklären? Welche Aspekte können in
Betracht gezogen werden um die Skepsis und Distanziertheit, die zwischen
diesen Sphären offenbar besteht zu erklären?
Neben den bereits ausgeführten Vermutungen dürften die anfallenden Kosten
für Beratungsleistungen keine große Rolle spielen. Das belegt eine Studie, in
welcher 73% der befragten Betriebsrät/innen angeben über ausreichende
finanzielle Mittel für externe Beratung zu verfügen (Stadler, 2017, 31). Ein
Mangel an Kontakt und Zugängen zu professioneller Beratung hingegen kann
aufgrund des schwachen Wissensstands in Betracht gezogen werden. Das
Überschreiten der Schwelle am Beginn von Beratungsprozessen fällt leichter,
wenn im Vorfeld ein positiver Erfahrungsaustausch in einem vertraut kollegialen
Rahmen stattfindet. Vorbereitende Informationen in Form persönlicher
Erlebnisberichte hinsichtlich Ablauf, Ausrichtung, Wirkung etc. können Angst
abbauen und mögliche Missverständnisse bereits im Vorfeld ausräumen.
Fehlen hingegen Wissen und Erfahrungen, Kontakte und Netzwerke, so ist es
unwahrscheinlich, dass Beratungsleistungen in Anspruch genommen werden.
Die Reserviertheit diesen Beratungsformen gegenüber liegt möglicherweise
auch darin begründet, dass beide Formate bestimmte Vorurteile hervorzurufen
können. Supervision kommt aus der Sozialarbeit, sie ist stark verwurzelt in
88
psychosozialen und pädagogischen Berufsfeldern (vgl. Bellardi, 2013, 18-20)
und kann durchaus Assoziationen psychologisch angehauchter Hilfestellungen
oder eine Art von psychotherapeutischer Intervention in beruflichen Notlagen
evozieren. Auch ist es denkbar, dass die Inanspruchnahme dieser Beratungs-
formate als Eingeständnis eigener Schwächen gedeutet wird und mit
Schamgefühlen einhergeht. Dies ist umso wahrscheinlicher, wenn diese
Instrumente im alltäglichen Arbeitsumfeld nicht präsent sind und daher
fremdartig erscheinen.
Coaching kann als zeitgemäßes innovatives Beratungsformat für Führungs-
kräfte gesehen werden, das häufig in mittleren und oberen Managementebenen
Verwendung findet. Da Führung aus Sicht von Betriebs-rät/innen hauptsächlich
Management und Geschäftsleitung zugeordnet wird und weniger als
Kernkompetenz von Personen gesehen wird, die Betriebsratsgremien leiten,
kann diese Beratungsform auf Skepsis stoßen. Zu missverständlicher
Auslegung kann auch beitragen, dass Supervision in der Wirtschaftswelt
speziell im englischsprachigen Raum als übergeordnete Stelle für die Anleitung
und Kontrolle von Arbeitsaufträgen verwendet wird (Bellardi, 2013, 14-15).
Neben möglichen irreführenden Deutungen dürfen auch die spezifischen
soziokulturellen Bedingungen und Wertehaltungen im Arbeitsfeld angeführt
werden, die die Implementierung innovativer Beratungsformate nicht erleichtern,
wo das Arbeitsethos vom standhaften, kampfbereiten und Stärke
demonstrierenden Betriebsrat als konsistentes Konstrukt aufrecht erhalten wird.
Diese tradierten Eigenschaften vorbildhafter Betriebsratstätigkeit beinhalten
zweifellos wichtige funktionale Attribute, die einen Ausschnitt des stark nach
Außen gerichteten Handlungsspektrums repräsentieren. Die Reduktion darauf
führt möglicherweise zur Unterdrückung arbeitsbedingter emotionaler Begleiter-
scheinungen und erschwert das Thematisieren von Gefühlen wie Ohnmacht,
Angst, Scham oder Unsicherheit, die als Schwäche ausgelegt werden können.
89
Es nnen auch die Herkunft und die kulturellen Implikationen der
Beratungsmodelle Supervision und Coaching ins Treffen geführt werden, um
die sperrige Kompatibilität der Beratungsformate mit dem tradierten
Arbeitsethos von Betriebsrät/innen zu erklären. Bestimmte Zuschreibungen
dieser Beratungen sind schwer in Übereinstimmung mit dem gängigen
Selbstbild des starken Betriebsrats zu bringen. Ein reicher Fundus an
Ressentiments findet sich in einem Artikel mit der programmatischen
Überschrift Wunsch und Wirklichkeit, der eine Tagung mit dem Titel Reflexive
Beratungsformen in arbeitspolitischen Kontexten: betriebliche Interessen-
vertretungen und Gewerkschaften zusammenfasst (vgl. Scheytt, 2009, 42-44).
Bereits in der Wortwahl des Veranstaltungstitels vermeint der Autor zu
erkennen "wie selbstbezogen und akademisch Berater mitunter sein können"
(2009,42). So befinden sich Berater/innen im "soziologischen Begriffshimmel"
und bedienen sich folglich einer dementsprechend abgehobenen und
unverständlichen Sprache. Bei reflexiver Beratung gehe es "um
`PsychoSpielchen´, man werde dabei auf die Couch gelegt und gewissermaßen
ausgezogen" (2009,44). Der Artikel schließt mit den Worten eines Teilnehmers:
"Es mag ja interessant sein, was man durch reflexive Arbeit lernt und erfährt [...]
aber es ist auch weit weg von dem, was im Betrieb wirklich los ist. Eine Art
Jenseits. Ich sehe nicht, wie das zu einer neuen Strategie führen könnte (2009,
44).
Die journalistische Aufarbeitung dieser Tagung mag kritischen Leser/innen
tendenziös erscheinen, dennoch bietet sie eine Reihe von Ansatzpunkten, die
das - möglicherweise auf beiden Seiten vorhandene - Unbehagen erklärt, wenn
Berater/innen auf die Welt betrieblicher Interessenvertretungen treffen. Neben
Informationsdefiziten mögen auch kulturelle, sprachliche und habituelle
Divergenzen als Gründe angeführt werden, die eine offene und unvorein-
genommene Kontaktaufnahme erschweren.
Wie die Umfrageergebnisse jedoch deutlich belegen besteht - trotz evidenter
Informationsdefizite und dadurch entstehender Vorurteile - ein großes Interesse
90
an den Beratungsformaten. Die hoch eingeschätzten Werte ihrer Relevanz für
die Betriebsratsarbeit sprechen für ein hohes Vertrauen in die Tauglichkeit
derselben.
Eine kritische Auseinandersetzung mit den Ergebnissen macht es nötig auf
einen wesentlichen Aspekt hinzuweisen und für die Interpretation heranzu-
ziehen. Die angewandte Methode hat durch die Anwendung des Umfragetools
eine Anzahl bedeutsamer Vorteile, da sowohl organisatorisch wie zeitlich kein
großer Aufwand nötig ist und die Anonymität gewährleistet ist. Ein großer
Personenkreis ist mit einfachen Mitteln erreichbar, er wird nicht aufgesucht, er
wird eingeladen und jede Person bestimmt letztendlich selbst über ihre
Teilnahme. Es ist daher davon auszugehen, dass Personen mit gewisser
Affinität zu den Beratungsformaten Supervision und Coaching eher dazu neigen
an der Befragung teilzunehmen als Personen, die an dem Thema weniger
Interesse haben. Dieser Verzerrungseffekt macht sich nach Scholl auf
unterschiedlichen Ebenen bemerkbar: "Die Selbstselektion der Befragten
vermindert die Stichprobe damit nicht nur quantitativ, sondern auch in
qualitativer Hinsicht" (2015, 46).
4.9. Verwendung der Ergebnisse
In völliger Übereinstimmung mit Zepke sollen die gewonnenen und hier
vorgestellten Umfrageergebnisse gemeinsam mit den Resultaten aus dem
qualitativen Forschungsteil jedenfalls der Zielgruppe zur Verfügung gestellt
werden um eine kritische Auseinandersetzung anzuregen (vgl. 2016, 131-133).
Zeitpunkt sowie mögliche Formen der Rückmeldung der Ergebnisse werden in
Zusammenarbeit mit der AK Wien abgestimmt und sollen jedenfalls in Form
eines schriftlichen Berichts im Herbst 2018 erfolgen. Ebenfalls erwogen wurde
die Ergebnisse im Rahmen eines interaktiven Rückkoppelungssettings mit
interessierten Expert/innen der Praxis zu diskutieren (vgl. 2016, 132).
91
5. Die Wirkung der Beratungsformate
Den Schwerpunkt des folgenden empirischen Abschnitts bilden fünf Interviews
mit der Zielsetzung Wirkung und Nebenwirkungen der Beratungsformate
Supervision und Coaching auf die betriebsrätliche Praxis zu untersuchen. Bevor
die Ergebnisse dargestellt und gedeutet werden, wird die methodische
Vorgangsweise erläutert.
5.1. Wahl des methodischen Verfahrens
Sollen auf der Grundlage des dargelegten Forschungsplans Informationen zur
Wirkung von Supervision und Coaching auf die Betriebsratsarbeit gewonnen
werden, reduziert sich die Anzahl potentieller Zielpersonen beträchtlich. Der
sich stark verringernde Kreis an in Frage kommender Zielpersonen, der knappe
Wissensstand wie auch die Komplexität des Themas sprechen für eine
Methode, die eine eingehende Exploration der Forschungsfrage ermöglicht.
Gemäß Atteslander sind Leitfadengespräche "das einzig sinnvolle
Forschungsinstrument, wenn Gruppen von Menschen, die auch in großen
Stichproben oft in zu kleiner Zahl angetroffen werden, erforscht werden sollen"
(2010, 142). Die Methodenwahl des Leitfadeninterviews folgt der Intention einen
klaren Fokus auf die durch Beratung erzielten Veränderungen zu legen und soll
darüber hinaus genug Raum zur Verfügung stellen um auch Wirkungsaspekte
anzusprechen, die über geplante Erwartungskategorien hinausführen und
gegebenenfalls in den Forschungsprozess integriert werden können (vgl. Zepke,
2016, 26). In Anbetracht des schwach ausgeprägten Standes der Wirkungs-
forschung plädiert Petzold für eine möglichst offene Vorgangsweise: "Aufgrund
des noch sehr geringen abgesicherten Wissenstandes über die Wirkweise und
Wirkungen von Supervision, muss das Supervisions - Forschungsprojekt v.a.
hypothesengenerierend sein" (2003, 174).
92
Nachdem sich die Personen völlig freiwillig zu einem Interview bereit erklärt
hatten, konnte davon ausgegangen werden, dass sie ausreichend Motivation
und Bereitschaft mitbringen um über ihre Erfahrungen zu erzählen. Ziel ist es
auf der Grundlage von individuellen Erfahrungsberichten aus Supervisions- und
Coachingsequenzen Informationen zu Effekten auf die Betriebsratsarbeit zu
erhalten. In einem weiteren Arbeitsschritt sollen durch Bearbeitung und
Auswertung des Rohmaterials Hypothesen generiert werden, die zu einer
"Systematisierung vorwissenschaftlichen Verständnisses" beitragen sollen (vgl.
Atteslander, 2010, 142).
5.2. Auswahl der Personen
Mit der Durchführung einer Online-Befragung sollten nicht nur wesentliche
Daten zum Stellenwert der Beratungsformen gewonnen werden, sondern auch
Personen eruiert werden, die erstens über einschlägige Beratungserfahrung
verfügen und zweitens Bereitschaft für ein Interview deklarieren. 35 Personen
entsprachen diesen Kriterien, wobei vier Personen von Vornherein aufgrund
mangelhafter Datenangabe ausgeschieden werden mussten. Es galt nun in
einem weiteren Selektionsschritt sich für nf Personen dieser Gruppe zu
entscheiden. Als Kriterium hierfür wurde zunächst die in Frage sieben erhobene
Selbsteinschätzung herangezogen, da davon ausgegangen wurde, dass hohe
Erfahrungswerte eine gute Voraussetzung darstellen um ein differenziertes Bild
von Beratungseffekten zu erhalten. Konkret wurden Personen in Betracht
gezogen, die basierend auf den Antworten der siebten Frage über sehr große
und große Beratungserfahrung verfügen. Diese Vorgangsweise könnte auf
Kritik stoßen, da es sich aufgrund der hohen Erfahrungswerte mit großer
Wahrscheinlichkeit um Personen handeln könnte, die durchwegs positive
Erfahrung mit Beratung gemacht haben und dadurch allenfalls vorhandene,
kritischere Blickwinkel a priori ausgeschlossen werden würden. Die daraufhin
gesichteten Einzelauswertungen jener Personen, die nur durchschnittliche
Beratungserfahrung aufwiesen, ergaben allerdings ebenfalls durchwegs
93
positive Werte hinsichtlich Interesse und Relevanzeinschätzung, so dass aus
diesen Selektionsmerkmalen keine Verzerrungen resultieren.
Es wurde darauf Bedacht genommen die Auswahl nach Branche und
Geschlecht in Korrelation mit den Gesamtergebnissen vorzunehmen und
jedenfalls auch Personen zu interviewen, die vor ihrer Betriebsratsfunktion noch
keine Erfahrungen mit Supervision bzw. Coaching hatten. Mit dieser
Überlegung wurde die Absicht verbunden Erkenntnisse zu Tage zu rdern, auf
welche Weise aus der Betriebsratstätigkeit heraus Beratungszugänge
erschlossen wurden. Auch wurde darauf geachtet, dass alle ausgewählten
Personen jedenfalls Erfahrungen im Einzelsetting aufweisen, um die Fragen
nach Wirkung an eine gemeinsame Grundkonstellation von Beratung zu
knüpfen.
Jenen Testpersonen, die ihre persönlichen Daten und ihre Bereitschaft für ein
Interview bekanntgaben, aber aufgrund der festgelegten Selektionskriterien
nicht um ein Gespräch gebeten wurden, wurde ein Schreiben übermittelt, indem
ihnen r ihre Bereitschaft gedankt wurde und bei Interesse die Zusendung
eines PDF Exemplars der Masterthesis versprochen wurde (Schreiben siehe
Anlagen). Die Personen, die für ein Interview ausgewählt wurden, wurden per
E-Mail darüber informiert, es wurde ihnen im Vorhinein mitgeteilt, dass das
Gespräch ca. eine Stunde dauern werde und zu wissenschaftlichen Zwecken
aufgezeichnet werden muss. Auch wurde ihnen mitgeteilt, dass die Inhalte des
Gesprächs vertraulich behandelt und anonymisiert verarbeitet werden
(Schreiben siehe Anlagen). Ort und Zeit der Interviewtermine wurden
telefonisch oder per E-Mail vereinbart. Eine Zielperson wurde nachbesetzt, da
sie ihre Teilnahme absagte, nachdem sie darüber informiert worden war, dass
das Interview aufgezeichnet werden sollte.
94
5.3. Entwicklung des Leitfadens
Um eine grobe Orientierungshilfe für Gespräch und Analyse zu erhalten wurde
der Leitfaden in drei Teile unterteilt: Einstieg, Hauptteil, Schlussteil (Leitfaden
siehe Anlagen). Die Fragestellungen im Einstiegsteil haben primär den Zweck
in Abstimmung auf die Interviewperson eine möglichst ungezwungene,
angenehme und natürliche Gesprächsatmosphäre herzustellen (vgl. Zepke,
2016, 55). Durch allgemein gehaltene Fragen zu Beratungspraxis, ihrer
betrieblichen Historie und ihrer Verankerung im Betriebsrat soll ins Thema
eingeführt werden. Die Eingangsphase soll auch dazu genützt werden
Eindrücke zu sammeln, die r den weiteren Gesprächsverlauf relevant sein
könnten. Dabei können beispielsweise der Stellenwert der Beratungsformate
im Betriebsrat und im Unternehmen, Erfahrungen aus der letzten Supervision
oder Auslöser und Anlässe für das erste Teamcoaching des Betriebsrats
angesprochen werden.
Das vorrangige Ziel der im Interview zu stellenden Fragen besteht darin
Informationen über die Wirkung der Beratungsformate auf die Betriebsrats-
tätigkeit zu generieren. Dieser Themenkomplex soll mit Fragestellungen aus
unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. Im Hauptteil soll zumindest
mit einer Frage eine dieser Kategorien angesprochen werden um die unter-
schiedlichen Antwortreaktionen vergleichen zu können (vgl. Diekmann, 2012,
537). Im Anschluss an das Thema Wirkung wird um eine Interpretation des
Umfrageergebnisses gebeten. Darüber hinaus erschien es auch von Interesse
die Zugänge und Finanzierungsmodalitäten von Beratung zu erkunden.
Die im Leitfaden aufgelisteten Fragestellungen wurden nicht wortwörtlich in den
Interviews übernommen, sie stellen lediglich verschiedene Möglichkeiten dar
um sich der jeweiligen Thematik zu nähern. Auch die Reihenfolge der Fragen
wurde dem jeweiligen Gesprächsverlauf angepasst.
95
5.4. Durchführung der Interviews
Sämtliche Interviews wurden mittels Diktiergerät auf einem Smartphone der
Marke Samsung Galaxy aufgezeichnet. Die Tonqualität ist durchwegs sehr gut,
die Übertragung, die Datensicherung und die Bedienung der Audiodateien bei
der Überführung in Textmaterial funktionierten reibungslos. Dass es sich beim
Aufnahmegerät um ein gängiges technisches Hilfsmittel handelte, soll als für
beide Seiten Stress vermeidendes Detail auch festgehalten werden. Diese
vermeintlichen Selbstverständlichkeiten werden expliziert angeführt, da es sich
bei diesen Punkten um zentrale "Scheiterfaktoren" handelt, die keineswegs
unterschätzt werden sollen. Die Interviewpersonen wurden vor dem Interview
nochmals daber informiert, dass es notwendig ist das Gespräch
aufzuzeichnen um die Inhalte wissenschaftlich bearbeiten zu können. Es wurde
ihre Zustimmung eingeholt, nachdem ihnen versichert worden war, dass weder
ihr Name noch der des Unternehmens in der Arbeit aufscheinen würden.
Vor dem Interview wurden die Personen nochmals über Ziel und Zweck der
Masterarbeit informiert. Der Übergang zum eigentlichen Interview vollzog sich in
allen Fällen fließend, da bereits bei der Darstellung des Forschungsvorhabens
erste inhaltlich relevante Aussagen der Interviewpersonen erfolgten, und so der
Einstieg ins Thema dazu genutzt werden konnte die Aufnahme zu starten und
das Smartphone in der Nähe der Interviewpersonen zu positionieren. Auf
Unsicherheit minimierendes Verhalten verweist auch Zepke, dessen
Ausführungen für die praxisorientierte Vorbereitung auf die Interview-
durchführung herangezogen wurden (vgl. 2016, 76-77). In einzelnen Fällen
wurde die jeweilige Interviewperson darauf hingewiesen, dass es keineswegs
nötig sei in vollständigen, wohl formulierten Sätzen zu sprechen, sondern dass
ausreichend Zeit vorhanden sei und in erster Linie der Inhalt und nicht die Form
für die weitere Bearbeitung wichtig seien.
Die Gespräche wurden von Seiten des Interviewenden mit großem Interesse
und Neugierde geführt. Bei den Interviews war es nicht schwierig, den
96
Gesprächsfluss am Laufen zu halten, und es konnten die zentralen Fragen gut
lanciert werden. Mit der Methode des tautologischen Nachfragen wurde bereits
Gesagtes kurz zusammengefasst und zurückgespielt, um einerseits zu über-
prüfen, ob die Inhalte richtig verstanden wurden und andererseits weitere
Aspekte womöglich vertiefend anzusprechen (vgl. Zepke, 2016, 57).
In drei Fällen war der Ort des Interviews das Betriebsratsbüro, ein Gespräch
fand in der AK Wien und eines in einem Wiener Kaffeehaus statt. Allen
Gesprächen gemeinsam war, dass die Interviewpersonen nur weniger Impulse
bedurften um ins Reden zu kommen. Bei sämtlichen Gesprächen fiel auf, dass
die Interviewten ein echtes Bedürfnis hatten ihre Erfahrungen mitzuteilen. Es
entstanden folglich sehr dichte und inhaltsreiche Gespräche, in welchen auch
betriebliche Spezifika zur Sprache gebracht wurden, die nur indirekt mit den
Fragestellungen zu tun hatten.
5.5. Transkription
Die Erwartung, dass es sich bei dieser Phase der Bearbeitung um eine
notwendige, jedoch eintönige Übersetzungsarbeit von mündlicher in schriftliche
Kommunikation handelt, wurde nicht bestätigt. Bei der Überführung der
Gespräche in Textmaterial sollen daher zunächst einige Wahrnehmungen
beschrieben werden, die während des Vorgangs der Transformation
auftauchten.
Während der Tätigkeit des Transkripierens entsteht die seltene Situation, dass
der Verlauf einer sozialen Interaktion ein zweites Mal unter anderen Umständen
erlebt wird. Auffällig ist, dass einzelne Textpasssagen, die während des
Interviews nicht registriert wurden, zum Leben erwachen bzw. inhaltlich
gedeutet, zugeordnet und verstanden werden können. So kam es trotz der
Informationsreduktion, die Transkription immer darstellt (vgl. Zepke, 2016, 77),
gleichzeitig zu einem Mehr an Informationen, indem diese durch die
97
ausgedehnte und repetitive Form der Rezeption präziser wahrgenommen
werden konnten. Auch konnte in diesem zweiten Durchgang eine veränderte
Qualität an Empathie den Interviewpersonen gegenüber festgestellt werden.
War die reale Gesprächssituation geprägt von authentischem Interesse und
formalen Strukturbedürfnissen, so fiel während des Nachhörens auf, dass das
Sensorium für tieferliegende Stimmungslagen, Anliegen, Beweggründe
geschärft wurde und der emotionale Kontakt mit den Personen stärker
empfunden wurde.
Für die Transkription wurde weitestgehend die Methode der literarischen
Umschrift gewählt, nur in wenigen Fällen wurden hierbei auch lautmalerische
Sequenzen vermerkt, wenn diese für die weitere Bearbeitung als relevant
eingeschätzt wurden. Es wurden Dialektausdrücke in Schriftsprache überführt
und gelegentlich kleine Umstellungen des Satzbaus zum Zwecke der besseren
Verständlichkeit vorgenommen. Ziel war es ein kohärentes, praktikables
Arbeitsformat zu generieren um das Forschungsanliegen adäquat bearbeiten zu
können (vgl. Zepke, 2016, 77-81).
5.6. Methode der Auswertung
Die Bearbeitung des Transkriptionsmaterials erfolgte anhand der Technik der
strukturierenden Inhaltsanalyse, die auf Basis vordefinierter Ordnungskriterien
die Texte untersucht und einem gemeinsamen Ordnungsschema unterstellt (vgl.
Zepke, 2016, 91). Der erste Arbeitsschritt bestand darin aufgrund der bereits
vorher festgelegten Kategorien (Wirkung im Allgemeinen, Ziele in der Beratung,
Wirkungsfelder, Nebenwirkungen) das Textmaterial zu strukturieren. Die
festgelegten Kategorien wurden hierbei in allen Transkripten mit einer
bestimmten Farbe unterlegt. Es erfolgte dadurch eine Visualisierung der
Querschnittsmaterien und gleichermaßen eine Reduktion des Aufmerksam-
keitsbereichs durch das Herausheben bestimmter Textausschnitte. Im Zuge
dieser ersten inhaltlichen Vertiefung wurden die festgelegten Kategorien
98
adaptiert, ergänzt und konkretisiert. Es erfolgte die Aufteilung in Schlüssel-
kategorien, die sich primär auf unterschiedliche Wirkungsaspekte konzentrieren,
und Nebenkategorien, die weitere relevante Gesichtspunkte der Beratungs-
praxis behandeln.
In einem weiteren Arbeitsschritt wurden die farblich unterlegten, thematisch
zugeordneten Textpassagen mit Kommentaren versehen, die erste spontane
Gedanken und Überlegungen festhielten. Aus der beschriebenen Vorgangs-
weise ergab sich folgende Einteilung:
Schlüsselkategorien:
Ziele
Wirkung auf die Person
Wirkung auf die Beziehung zur Geschäftsführung
Wirkung auf die Beziehung zur Belegschaft
Wirkung auf die Beziehungen im Betriebsratsgremium
Wirkung auf Betrieb und Gewerkschaft
Nebenwirkungen
Nebenkategorien:
Anlässe für Beratung
Finanzierung und Zugänge
Erklärung des Umfrageergebnis
5.7. Beschreibung und Deutung der Ergebnisse
Die Darstellung der Ergebnisse orientiert sich an der oben angeführten
Systematik von Schlüssel- und Nebenkategorien. Allfällige Interpretationen
erfolgen unmittelbar im Anschluss an die Beschreibung der Ergebnisse.
99
5.7.1. Anlässe für Beratung
... damit bin ich gar nicht zu Recht gekommen, vor der Geschäftsführung hab
ich noch die Fassung behalten können, ich bin dann aber schon einige Male im
Betriebsratsbüro weinend zusammengebrochen, weil man mich persönlich
angegriffen hat, Unterstellungen, Unwahrheiten, Verleumdungen über mich
verbreitet hat (IP5).
Mit diesen Worten beschreibt ein/e Betriebsrat/rätin die Situation, als er/sie den
Entschluss fasste Supervision für sich in Anspruch zu nehmen. Neben hohen
individuellen Belastungen wird die Inanspruchnahme von Supervision und
Coaching auf starke Veränderungen im Arbeitsumfeld zurückgeführt. Einerseits
werden Überlastungsphänomene im Zusammenhang mit neuen Anforderungen
an die Rollengestaltung angeführt; beschrieben wurden diesbezüglich die
Aufnahme der Aufsichtsratstätigkeit oder die erstmalige Übernahme
betriebsrätlicher Vertretungsagenden in der Konfrontation mit dem Management:
... da muss man schon sagen, dass das nicht passt, dass der Betriebsrat
weinend vor der Leitung dasteht (IP1);
Andererseits resultieren Überlastungsphänomene häufig aus unmittelbaren
Erfahrungen mit Verzweiflung und Leid von Kolleg/innen:
... als hier Kollegen gesessen sind und zum Weinen angefangen haben, und
man nicht wusste, wie geht man damit um, da hats dann Knacks gemacht (IP4).
In Gesprächspassagen wird mehrmals evident, dass sich Betriebsrät/innen in
der unmittelbaren Auseinandersetzung mit Menschen in Krisenlagen über-
fordert fühlen und ihnen rat- und hilflos gegenüber stehen:
Wie kann man da weiterhelfen, außer dass man sagt, du brauchst eh keine
Angst haben? (IP4)
100
In einem Unternehmen wurde das Bewusstsein darüber vom Betriebsrat zum
Anlass genommen im Rahmen einer Teamsupervision geeignete Tools zu
entwickeln, um sich so systematisch auf die Beratung von Kolleg/innen in
Krisensituationen vorzubereiten.
Auslöser für externe Hilfestellungen stellen häufig gesundheitliche
Krisensituationen dar, explizit wurden Schlafstörungen genannt. Es kann
daraus geschlossen werden, dass externe Beratungsleistungen in vielen Fällen
erst in fortgeschrittenen Stadien von Krisenverläufen in Anspruch genommen
werden.
In vier Gesprächen wurde dezidiert die Rollenklärung als Betriebsrat/rätin als
Beratungsanlass genannt. Die im Zusammenhang mit der Übernahme der
Vorsitzfunktion stehende sukzessive Aneignung eines neuen Arbeitsbereichs
und die damit verbundene Entwicklung eines eigenen Arbeitsstils sind hierbei
ebenso von Bedeutung wie die Reflexion über Perspektiven der
Vertretungsarbeit, das ständige Abklären des eigenen Standpunktes sowie die
entsprechende Verortung im betrieblichen Gefüge, um nicht ständig zwischen
allen Stühlen zu sitzen (IP5). In einem Fall wurden konkret die steigenden
Anforderungen an die Vertretungsrolle ins Treffen geführt. In zwei Fällen wurde
auf betriebliche Ausnahmeereignisse (Arbeitskampf, Sozialplan) verwiesen, die
beratend begleitet wurden.
Ein wesentlicher Anlass für Beratung ist die Neuformierung von
Betriebsratsteams in der Folge von Wahlen oder dem Ausscheiden von
Betriebsratsmitgliedern. Darüber hinaus werden auch Konflikte im Gremium, die
Bearbeitung emotionaler Komponenten und die klare Verteilung von Aufgaben
genannt. Angegeben wurde auch, dass im Rahmen von Teamklausuren
Methoden aus Supervision und Coaching einfließen.
Es fällt auf, dass persönliche Erfahrungen mit reflexiven Beratungsmodellen die
Einführung und Kultivierung derselben in die betriebsrätliche Arbeitswelt
101
begünstigen. So stehen drei Personen in einem nahen beruflichen Kontext zu
Supervision und Coaching, die verbleibenden zwei haben Erfahrungen aus
privaten Zusammenhängen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die starke emotionale Betroffenheit
im beruflichen Kontext, das bewusste Erleben gravierender Veränderungen im
betrieblichen und betriebsrätlichen Gefüge als auch die Selbstwahrnehmung
alarmierender körperlich oder psychischer Krisen typische Beweggründe
darstellen um erste Schritte in Richtung externe Beratung ins Auge zu fassen.
Die Wahrscheinlichkeit ein solches Vorhaben in die Tat umzusetzen erhöht sich
beträchtlich, wenn persönliche oder berufliche Erfahrungen mit Supervision und
Coaching vorhanden sind.
5.7.2. Finanzierung und Zugänge
Die Finanzierung ist lediglich in zwei Fällen klar über den Betriebsratsfonds
12
geregelt. In einem Fall ist kein Betriebsratsfonds vorhanden, hier wurden
Beratungsleistungen über Serviceleistungen einer Landeskammer zur
Verfügung gestellt bzw. diese auch privat finanziert. Bei einer Person erfolgt die
Finanzierung privat, durch den Betriebsratsfonds und gelegentlich auch durch
die Geschäftsführung. Einer Person wurde Supervision zunächst aus dem
Betriebsratsfonds finanziert und in weiterer Folge ebenfalls privat bezahlt, da
sie die Meinung vertrat, dass die Finanzierung der Beratungsleistung über
einen längeren Zeitraum dem Betriebsratsfonds nicht zugemutet werden könne.
Auffällig ist, dass in drei Fällen die Finanzierung ein Thema hinsichtlich
Kostenbelastung, Rechtmäßigkeit und Akzeptanz innerhalb des Betriebsrats
darstellt. Eine Person gab an, dass bei der Revision des Betriebsratsfonds
durch die AK Beratungskosten hinterfragt wurden. In einem anderen Fall wurde
12
Die Errichtung eines Betriebsratsfonds kann durch die Belegschaft beschlossen werden. Er
wird durch die Belegschaft finanziert und dient der Geschäftsführung des Betriebsrats und der
Unterstützung von Wohlfahrtsmaßnahmen zugunsten der Belegschaft. Die Gebarung und
Verwendung der Mittel werden in der Regel einmal jährlich durch eine externe Revision der AK
kontrolliert (vgl. §§ 73-75 ArbVG).
102
darüber berichtet, dass die Aufwendungen durch den Betriebsratsfonds sehr
detailliert der Belegschaft präsentiert werden, und deshalb versucht werde die
Kosten für Supervision möglichst gering zu halten, da ansonsten die Kritik von
Kolleg/innen zu befürchten sei:
Wir müssen argumentieren, warum wir das für uns in Anspruch genommen
haben; es hat noch nie jemand kritisiert, weil wir sehr sparsam sind (IP3).
Es ist überraschend, dass die private Finanzierung von Beratungsleistungen
durch Betriebsrät/innen offenbar keine Ausnahme darstellt. Schließlich ist die
Regelung in so manchem Kollektivvertrag speziell im Sozial- und Bildungs-
bereich, dass die Bezahlung von Supervision durch den/ die Arbeitgeber/in
erfolgt, den Forderungen und der Überzeugungsarbeit von Betriebsrät/innen
geschuldet. Als Gründe für Abweichungen im eigenen Arbeitsfeld können in
Erwägung gezogen werden: keine oder eingeschränkte interne Finanzierungs-
möglichkeiten; Unsicherheit bezüglich der nötigen Akzeptanz innerhalb des
Betriebsrats; Zweifel an der Rechtmäßigkeit Supervision und Coaching über
den Betriebsratsfonds zu finanzieren: ... mit Beratungskosten für einen Anwalt
ist man viel lockerer ... (IP2).
Es zeigt sich, dass nicht allein die Finanzierung eine Hürde für die
Inanspruchnahme von Beratung darstellt, sondern ebenso die damit
verbundene Notwendigkeit der Rechtfertigung dieses Arbeitsinstruments, sei es
vor der Belegschaft, vor dem Betriebsratsgremium oder vor sich selbst, da es
nicht dem herkömmlichen Inventar betriebsrätlicher Werkzeuge zugerechnet
wird.
Alle Interviewpersonen gaben an, dass sie aus ihrem privaten Umfeld über
Zugänge zu professioneller Beratung verfügen. Darüber hinaus verwies eine
Person auf eine enge Zusammenarbeit mit der Personalabteilung und zwei
Personen auf gewerkschaftliche Fortbildungsangebote, die dazu genutzt
werden um einschlägige Kontakte herzustellen. Eine Person eines großen
103
Unternehmens berichtete, dass sie regelmäßig Angebote aus der
Beratungsbranche erhält.
5.7.3. Ziele
Die Festlegung von Zielen, die häufig am Beginn von Beratungsprozessen
stehen, lassen sich als angepeilte Wirkungen verstehen. Die in den Interviews
genannten Zielsetzungen werden teilweise bereits durch formulierte Anlässe für
Supervision und Coaching erkennbar, wenn beispielsweise Probleme im Team
als Auslöser und ihre Behebung oder Verbesserung als allgemeines Beratungs-
ziel genannt werden.
Aus dem Abfragen von in der Beratung klar festgelegter Ziele lässt sich
schließen, dass es sich primär um sehr allgemein gehaltene Zielsetzungen
handelt. Eine Person nannte lediglich die Problembearbeitung (IP4) als Ziel in
der Beratung. In zwei Fällen wird für die Erhaltung der psychischen Gesundheit
als Betriebsrat/rätin die Inanspruchnahme von Supervision als Voraussetzung
genannt: gesund bleiben und nicht das Handtuch werfen (IP1), Abgrenzung
besser schaffen, Dinge dort lassen wo sie hingehören, mein Befinden zu
verbessern, meine Lebensqualität zu verbessern ... (IP5) werden als
Zielsetzungen genannt.
Wiederum in zwei Fällen spielt die Klärung der beruflichen Zukunft eine Rolle.
Durch eine systematische Auseinandersetzung mit beruflicher Beanspruchung
gilt es Klarheit darüber zu erlangen, ob es überhaupt möglich ist weiterhin
Betriebsrat zu sein oder zu sagen, nein es ist zu belastend für mich (IP5).
Ebenfalls angestrebt wurden die Sammlung und passende Verteilung von Auf-
gaben im Betriebsratsteam, die Erarbeitung einer funktionierenden Lösung
einer aufgeteilten Freistellung sowie die Entwicklung eines eigenen Arbeitsstils,
der nicht darin bestehen soll den … alten Vorsitzenden zu kopieren (IP1).
104
Bei der Deutung dieser Kategorie fällt auf, dass das Formulieren klarer und
konkreter Zielsetzungen am Beginn eines Beratungsprozesses eine unterge-
ordnete Rolle spielt. Das Setting wird als Raum wahrgenommen, der in der
betriebsrätlichen Arbeitswelt nicht zur Verfügung steht. Die Anwendung
intendiert vor allem den Abbau emotionaler Belastungen und die
Thematisierung klarer Grenzziehungen zwischen Person und Funktion. Die
strategisch angelegte Reflexion um bestimmte programmatische Ziele durch-
und umzusetzen, Risiken und Chancen zu analysieren, allfällige Bündnis-
partner/innen ins Auge zu fassen etc. ist von geringer Bedeutung.
Die Gesprächssequenzen legen die Annahme nahe, dass Supervision und
Coaching primär als Kriseninstrumente in Notlagen abgerufen werden. Ihre
Funktion als Arbeitsinstrument in der Form reflexiver Vorbereitung, Begleitung
und Umsetzung strategischer Prozesse ist weniger gebräuchlich.
5.7.4. Wirkungsfelder
Die hier vorgenommene Gliederung korrespondiert mit der Systematik des
zweiten Kapitels, in welchem die betriebsrätliche Praxis anhand personaler
Faktoren (vgl. 2.2.1.) in ihrer Wechselwirkung zu relevanten Umwelten (vgl.
2.2.2.) dargestellt wurde.
5.7.4.1. Person
Betriebsrät/innen stehen in einem dichten Netzwerk vielfältiger sozialer
Beziehungen. Bevor Effekte auf relevante interpersonale und intergruppale
Schnittstellen in der Arbeitswelt von Betriebsräten dargestellt werden, soll
zunächst auf personenbezogene Venderungen eingegangen werden, die als
Folge von Reflexionsprozessen gedeutet werden. Folgende Fragestellungen
sollen behandelt werden: Welche Veränderungen zeitigt Beratung auf das
105
Individuum? Inwiefern ändern sich die Selbstwahrnehmung und wie entwickeln
sich individuelle Fähigkeiten und Einstellungen?
Ein in allen Gesprächen anklingender Effekt reflexiver Auseinandersetzung mit
dem eigenen Arbeitsverhalten besteht in einem Zugewinn an Zufriedenheit,
Sicherheit und Klarheit hinsichtlich der beruflichen Rolle. Eine verbesserte
Selbsteinschätzung, das Erkennen eigener Wünsche und Fähigkeiten erleich-
tert die berufliche Positionierung. Pointiert bringt dies folgender Auszug auf den
Punkt:
Hauptsächlich wirkt es sich auf mich aus, dass ich viel zufriedener bin in der
Funktion! Ich weiß wie ich tun mag, was ich tun kann, wo ich steh (IP1).
Man kann das dann auch besser verarbeiten, für mich ist es eine ganz andere
Qualität, man kann auch persönliche Unsicherheiten, Ängste alles was es so
gibt thematisieren ... Da kommen auch ganz andere Inputs, sonst sagt ein jeder:
ach geh (IP5).
Diesem Textauszug ist zu entnehmen, dass Beratung die Wahrnehmung
eigener Gefühle fördert. Durch einen besseren Zugang zur eigenen Gefühlswelt,
durch das Artikulieren von Ängsten und Bedürfnissen gelingt es eher Belastun-
gen rechtzeitig zu erkennen und den Umgang mit eigenen Ressourcen
bewusster zu gestalten.
Von besonderem Interesse sind Textpassagen, die aktuelle Denk- und
Verhaltensweisen anhand von vergangenen Referenzpunkten erklären, und so
Veränderungsphänomene durch Prä-Post-Vergleiche deutlich nachvollziehbar
machen:
Früher konnte man mich leichter verunsichern. Zum Beispiel kann ich jetzt in
die chste Aufsichtratssitzung reingehen und besser widersprechen und
standhalten, die haben mich dann natürlich nicht lieb, und das nicht lieb gehabt
106
werden ist ja immer schwer. Und damit umgehen zu lernen, dass einen nicht
alle liebhaben, das war für mich vielleicht das Schwierigste (IP5).
Weil wenn ich mal wo drinnen bin schau ich nicht mehr so auf mich und merk
nicht wieviel Energie dann da draufgeht. Das tu ich nicht mehr! Ich kenn dann
meine Grenze, ich weiß wann es genug ist und probier nicht weiter. Es bleibt
mehr Energie über! (IP1)
Beschreibt erstes Zitat die Stärkung der Persönlichkeit, den Mut zu wider-
sprechen und Erwartungen nicht gerecht zu werden, so wird im zweiten
Gesprächsausschnitt ein achtsamer Umgang mit persönlichen Leistungsgren-
zen und Ressourcen als Effekt von Supervision und Coaching hervorgehoben.
Ein heres Maß an Offenheit in der Beziehungsgestaltung belegt
nachfolgendes Zitat in Bezug auf das Verhältnis zum zuständigen
Gewerkschaftssekretär:
Ich kann auch ehrlicher mit ihm umgehen. Früher hab ich das umgangen (IP1).
Höhere Kompetenzen der Selbstfürsorge veranschaulichen sich nicht allein in
der Ausbildung eines angepassten Energiehaushalts, sondern auch in einem
differenzierten Wissen um die eigene Verletzlichkeit:
Reflexion beschädigt nicht den Schutzmantel, sondern man weiß besser wie
viel Schutz man in bestimmten Situationen braucht oder auch nicht braucht und
muss nicht dauernd mit einem dicken Schutzmantel herumlaufen (IP2).
Das immer wieder angesprochene Thema der Abgrenzung gelingt gerade im
Hinblick auf die Differenzierung Person und Funktion, wenn das Individuum aus
dem beruflichen Kontext hervortreten und die innere Verfassung mit beruflich-
funktionellen Anforderungen in Abstimmung gebracht werden kann. Dieser
Vorgang spiegelt sich in folgender Interviewpassage wieder:
107
Warum reagierst du so? - Was hat das eigentlich mit mir zu tun? Mit meiner
Sozialisation? Meiner Geschichte? - Meine persönlichen Anteile erkenne ich
dann besser. Mir hat Supervision das gebracht, dass ich viel zufriedener in die
Arbeit geh, dass ich wieder zufrieden bin mit meinem Job, mit meiner Funktion
und ich kenn meine Grenzen und wo ich aufhören muss (IP1).
Ein entscheidender Lernvorgang ist darin zu sehen, berufliche Konflikte nicht
persönlich zu verbuchen, sondern die Auseinandersetzung und Klärung im
funktionalen Kontext zu führen:
Zu lernen, ja das ist meine Aufgabe und hat mit mir persönlich nichts zu tun - so
eine Sachentscheidung, keine menschliche (IP5).
Coaching hat sehr weitergeholfen, weil ich gelernt habe das klarer auf meine
Rolle zu beschränken und weniger auf mich als Person zu beziehen (IP4).
Als Effekt reflexiver Prozesse wird die Erweiterung von Wahrnehmungs- und
Lösungsmöglichkeiten angeführt sowie eine größere Offenheit für Handlungen,
die nicht den gängigen Usancen betriebsrätlicher Praxis entsprechen:
Wie kann man das eine oder andere auch mal anders organisieren, anders
aufsetzen ... Man bekommt einen anderen Blick auf Lösungskomponenten (IP2).
Erwähnung findet ein veränderter Umgang durch Beratung im Zusammenhang
mit der Bearbeitung und Lösung in Konfliktsituationen:
Supervision hat auch unser Verhalten bei Konflikten beeinflusst, wir besprechen
wie wir gemeinsam und auf breiterer Basis Konflikte lösen und nehmen auch
mal externe Hilfe in Anspruch (IP2).
108
Die Beratungsformate werden als Qualität sichernde Maßnahmen in der
Betriebsratsarbeit beschrieben, da ständig Lernprozesse in Gang gesetzt
werden:
Sobald man sich drauf einlässt, beeinflusst einen das, und es wäre vermessen
zu glauben man wäre gleich gut! (IP2)
5.7.4.2. Management
Vier Personen sprechen Veränderungen in ihrem Verhalten dem Management
gegenüber, die sie auf die Anwendung reflexiver Beratung zurückführen, explizit
an. Supervisions- und Coachingsitzungen werden dazu genützt um sich auf
Verhandlungen vorzubereiten, sich mental einzustimmen und moralisch zu
stärken. Eine Person gab an, dass Teamsupervision gezielt dazu genutzt wurde
um eine Vorgehensweise abzustimmen, auf welche neue Art und Weise dem
immer wieder kehrenden Argument der leeren Kassen adäquat begegnet
werden könne. Neben der Reflexion inhaltlicher Positionierungen spielt auch
hier die Differenzierung von Person und Funktion eine wichtige Rolle.
Vor allem im Umgang mit den Personalchefs hat mir Coaching sehr
weitergeholfen, weil ich gelernt habe mich klarer auf meine Rolle zu
beschränken und weniger auf mich als Person zu beziehen (IP4).
In einem anderen Fall ist es gelungen, der Geschäftsführung die Funktion des
Vorsitzenden als Sprachrohr des Kollegialorgans Betriebsrat verständlicher zu
machen. Dies führte dazu, dass sich die Sichtweise der Geschäftsführung auf
das System Betriebsrat veränderte, indem bestimmte Positionen weniger stark
personifiziert wurden und Auseinandersetzungen von der Beziehungs- auf die
Sachebene verlagert werden konnten.
109
Konträr dazu nimmt sich die Darstellung einer Person aus, die den
Beratungsprozess dazu nutzte um die agierenden Menschen hinter ihrer
Managementfunktion in den Fokus rücken. Es finden in der Supervision
Überlegungen statt um sich auf spezielle Persönlichkeitsmerkmale einzustellen
und neuralgische Punkte auf Seiten des Managements auszumachen, um so
Zielsetzungen erreichen zu können.
Für eine Person gehören Gespräche mit der Geschäftsführung in eine andere
Schublade und haben mit den Beratungsformaten dezidiert nichts zu tun
Oder vielleicht schon - wie schafft man es mit der geringen Wertschätzung
umzugehen, wie schafft man es, wenn man das Gefühl hat, man rennt gegen
eine Wand? (IP2)
Der Mangel an Wertschätzung und Anerkennung am eigenen beruflichen Tun
wird hier in offenbar aufreibenden Auseinandersetzungen mit dem Management
erlebbar. Gerade in Phasen zermürbender und aufzehrender Verhandlungen,
die oftmals wenig Erfolgsaussichten versprechen, dennoch immer wieder
aufgegriffen und weitergeführt werden müssen, können Supervision und
Coaching Entlastung ermöglichen.
Auch in der unmittelbaren Konfrontation mit heftigen emotionalen Reaktionen
von Verhandlungspartner/innen können Umgangsweisen entwickelt werden wie
folgendes Zitat plastisch veranschaulicht:
Ich geh auf die Seite und lass ihm Dampf ablassen und sag dann, ok - können
wir jetzt wieder miteinander reden (IP1).
Die Person berichtet weiter, dass es durch die klare Zuordnung von Gefühlen
aufgrund der Kategorien Person und Funktion möglich wird, mehr Wert-
schätzung für das Gegenüber aufzubringen. Dies wirkt sich positiv auf die
Beziehung zwischen Betriebsrat und Management aus. Im Übrigen wird davon
berichtet, dass es auch besser gelingt mit Untergriffen umzugehen.
110
Veränderungen machen sich bemerkbar in einem abgeklärten und sicheren
Auftreten dem Management gegenüber. Ein besseres Verständnis und das
bewusste Auseinanderhalten von Person und Funktion wirken einerseits
entlastend und bergen andererseits erweiterte Möglichkeiten der
Beziehungsgestaltung. Für die Verarbeitung von emotionalen Belastungen in
der Beziehung zum Management werden Supervision und Coaching als
geeignete Settings wahrgenommen. Nicht zuletzt ermöglichen Beratungs-
prozesse die Gelegenheit Anerkennung und Würdigung für das berufliche
Handeln zu erfahren und selbst besser wahrzunehmen.
5.7.4.3. Belegschaft
Supervision und Coaching können unterstützend wirken bei der Entwicklung
effizienter Abgrenzungsstrategien der Belegschaft gegenüber. Die Kommuni-
kation mit der Belegschaft gewinnt an Klarheit, da Informationen unmiss-
verständlich übermittelt werden nnen. Auch spiegelt folgendes Zitat eine
pragmatisch-nüchterne Haltung wieder, die als notwendiger Ausgleich zum oft
idealistischen Engagement von Bertriebsrät/innen gedeutet werden könnte.
Ich kann klarere Grenzen ziehen, ohne schlechtes Gewissen mich hinstellen
und sagen: ich habs probiert - Intervention beendet! (IP1).
Es fällt leichter latente Einflussnahme zu erkennen und Versuchen von
Fremdbestimmung und Instrumentalisierung zu widerstehen:
Manipulationen erkenn ich besser, und ich führ keine Stellvertreterkriege (IP1).
Angesprochen werden auch indirekte Wirkungsphänomene. Eine Person gibt
an, dass aus reflexiver Beratung höhere Sicherheit und mehr Klarheit in der
beruflichen Rolle resultiert, und sich eben diese Veränderungen auch positiv auf
das Auftreten der Belegschaft gegenüber auswirken.
111
In einem anderen Gremium werden Supervisionssitzungen dazu genützt um
Überlegungen anzustellen wie der Kontakt zur Belegschaft gestaltet werden
kann. In der Beratung wird auch die Gesprächsführung mit Kolleg/innen in
Krisenlagen thematisiert und konkrete Werkzeuge entwickelt, damit man
nicht hineinkippt ins Gegenüber, weil wir als Betriebsrat müssen auch Distanz
bewahren (IP2).
Der mentale Aspekt in der Vorbereitung auf fordernde Gesprächssituationen, in
dem es häufig um die Übermittlung unangenehmer Nachrichten geht, wird von
einer weiteren Person angesprochen:
Solche Treffen benötigen eine persönliche Stärke, die du dir nur über Coaching
holen kannst (IP4).
Auch werden die Beratungsformate dazu genutzt um die persönliche
Konfrontation mit individuellen Krisensituationen "abzuladen" und auf
emotionaler Ebene zu bearbeiten.
Die Beispiele veranschaulichen, dass in den Interviews weniger die unmittel-
bare Wirkung auf Verhalten und Haltung der Belegschaft thematisiert wurde,
sondern aus der Beschäftigung mit dieser zentralen Schnittstelle in der
Betriebsratsarbeit zahlreiche Themen hervorgehen, die in die Beratung
eingebracht und erst in weiterer Folge wirksam werden.
5.7.4.4. Betriebsratsgremium
Wie bereits beschrieben wurde, ist bei der Entscheidung, ob Beratungs-
leistungen in Anspruch genommen und aus dem Betriebsratsfonds finanziert
werden formalrechtlich das Gremium zu befassen. Auch wenn das gesamte
Betriebsratsteam nicht in Beratungsprozesse eingebunden wird, so ist es doch
zumindest in Form von Beschlussfassungen über vereinbarte Beratungs-
112
leistungen in Kenntnis zu setzen und in Entscheidungen miteinzubeziehen. Eine
pointierte Rückmeldung zur Inanspruchnahme von Supervision wird wie folgt
wiedergegeben:
Mir hat ein Betriebsratskollege gesagt, der selbst so Psychodinge komplett
ablehnt, was immer du da tust, es bringt nicht nur dir was, es bringt uns allen
was (IP5).
Wenn auch die Beschreibung konkreter Effekte fehlt, so veranschaulicht der
Textauszug, dass Veränderungen durch Einzelsupervision wahrgenommen und
in ihrer Wirkung auf den Betriebsrat positiv bewertet werden.
Die Wirkungen von Supervision oder Coaching auf Betriebsratsteams werden in
vielfältiger Art und Weise beschrieben. Hervorgehoben wird die vertrauens-
bildende Wirkung. Es nnen Fragen gestellt werden, die man sich sonst nicht
stellen traut (IP 3), es gibt die Möglichkeit, Wünsche einzubringen,
Klarstellungen zu treffen und gemeinsame Sichtweisen zu entwickeln. Und
auch in diesem Setting wird auf die Bedeutung der Rollenklärung verwiesen:
Wir können uns untereinander in unseren Rollen und Funktionen besser
abgrenzen (IP3).
Es fällt auf, dass sich Erfahrungen reflexiver Beratung auch auf die interne
Kommunikationskultur von Betriebsräten auswirken. So fließen Bestandteile
aus der Beratung in den Arbeitsalltag ein und werden in unterschiedlichen
Spielarten in die Praxis integriert:
Im Kernteam supervidieren wir uns auch immer wieder selber ... auch internes
Mentoring mit meinen Stellvertretern, wie gehts euch damit, wie gehts mir, wie
schafft man es, dass man nicht nächtelang drüber nachdenkt, ob man nicht
mehr hätte machen können; für die Abstimmung im engen Kreis (IP2).
113
Eine andere Person berichtet, dass durch regelmäßige Teamsupervision ein
geeigneter Rahmen zur Verfügung steht um Probleme anzusprechen, Missver-
ständnisse zu klären, persönliche Stärken oder Vorlieben zu thematisieren und
dementsprechend die individuelle Rolle im Betriebsrat auszurichten:
Das hat mir selbst geholfen und den Kolleginnen wurde klar, dass ich ja gar
nicht alles selbst machen will, die dachten sich immer, ich will alles selbst
machen. Dadurch ist für mich und die Kolleginnen einfach das Verhältnis klarer
geworden. Mir fiel es dann auch leichter zu sagen, ich kann nicht mehr, ich mag
nicht mehr oder so irgendwas (IP4).
Der Textausschnitt zeigt wie Missverständnisse hinsichtlich vermeintlich heikler
Themen angesprochen und geklärt werden können. Wird das berufliche
Handeln in der Gruppe artikuliert, so können individuelle Motive von den
Betriebsratsmitgliedern besser nachvollzogen werden. Im konkreten Fall
konnten missverständliche Vorannahmen ausgeräumt, Wünsche klar deklariert
und in der Folge Lösungen ventiliert werden.
Erwartungsgemäß werden positive Effekte von Beratung hervorgehoben, wenn
es um die Integration neuer Betriebsratmitglieder geht. Der Erstkontakt mit
Elementen aus Supervision und Coaching findet häufig im Rahmen von
Betriebsratsklausuren statt. Gerade r neue Betriebsratsmitglieder fungieren
Klausuren, Workshops, moderierte Arbeitssitzungen nicht nur als grundlegende
thematische und soziale Einführung in die spezifische Arbeitswelt von
Betriebsräten, sondern bieten darüber hinaus Gelegenheit reflexions- und
prozessorientierte Bearbeitungsformen kennenzulernen.
Und so weiß der gesamte Betriebsrat über diese Methoden und Möglichkeiten
Bescheid, das hat sich verfestigt und ist eingesickert (IP4).
Speziell das Setting von Teamsupervision kann dazu genutzt werden sowohl
auf organisatorischer Ebene (interne Arbeits- und Kommunikationsstrukturen,
114
Strategie und Zielfindungsprozesse etc.) wie auf interpersonaler Ebene
(Beziehungsgestaltung, Rollenklärung, Gruppendynamik etc.) wichtige Themen
zu bearbeiten und so Zusammenhalt, Kooperation und Handlungsfähigkeit im
Betriebsrat zu stärken.
Sind Betriebsräte mit den einschlägigen Möglichkeiten reflexiver Beratung
vertraut, so können sich Supervision und Coaching auch als optionale Arbeits-
instrumente im operativen Bereich von Betriebsratsarbeit etablieren:
Es gibt jetzt auch immer wieder Vorschläge, wenn es wo Probleme gibt,
Supervision oder Coaching anzuwenden (IP4).
5.7.4.5. Betrieb und Gewerkschaft
In zwei Interviews kommen Aspekte zur Sprache, die die Beratungsformate in
ihrem Einfluss auf die gewerkschaftliche Betreuung sowie auf das Unternehmen
selbst thematisieren.
Coaching kriegt man schon auch ein bisschen vom Gewerkschaftssekretär. Das
ist nicht das, was ich brauch, ich brauch niemanden der da draufhaut, mit dem
kann ich nicht; ich sag ihm klipp und klar was Sache ist. Er ist zwar immer
wieder beleidigt, wenn er z.B. nicht zur Klausur eingeladen wird, weil ich weiß,
dass er mir die ganze Klausur umrührt, aber so ist es halt. Aber er ist
fantastisch als Moderator (IP1).
Vorauszuschicken ist, dass sich die Interviewperson generell sehr positiv über
die Unterstützung und das Engagement des/der Gewerkschaftssekretärs/in
äußert. Der Gesprächsauszug weist allerdings auch darauf hin, dass Teile der
Betreuung durch die zuständige Gewerkschaft offenbar als Coachingangebot
verstanden werden, die im konkreten Fall nicht den gewünschten Effekt erzielen.
115
Die resolute Diktion des Interviewausschnitts ist möglicherweise darauf
zurückzuführen, da es sich um eine Person handelt, die aufgrund ihrer
Profession über fundierte Erfahrung mit Supervision verfügt, und dass daher
das "ganzheitliche Beratungsangebot des Gewerkschaftssekretärs auf wenig
Gegenliebe stößt (vgl. Musger, 2008, 17).
13
Eine sehr kritische Beurteilung findet die Betreuung von Betriebsrats-
kolleg/innen durch die Gewerkschaft, die in ihrem Arbeitsfeld immer wieder
hohen psychischen Anforderungen ausgesetzt sind:
Bei anderen fällt mir auf, dass sie ihre Grenzen oft überschreiten, dass sie nach
Aktionen oder Demos dahängen und nicht mehr können. Das find ich furchtbar
schade, weil das Leute sind, die gut sind, aber dann nicht mehr können, das ist
eine Sauerei, dass es da nichts gibt. Die hören dann auf, aber es wird ihnen
nichts mehr angeboten. Da werden Leute dann fallengelassen und da ist die
Gewerkschaft nicht besser als ein Arbeitgeber (IP1).
Diese Beobachtungen können dahingehend interpretiert werden, dass
Gewerkschaften zwar ein breites Spektrum an fachlicher Unterstützung zur
Verfügung stellen, psychische Notlagen aber mit dem herkömmlichen
Instrumentarien weniger gut bearbeitet werden können. Bei Betriebsrät/innen
handelt es sich mitunter um Menschen mit ausgeprägten Wertehaltungen, die in
fordernden Phasen durch großen persönlichen Einsatz in Gefahr geraten ihre
Belastungsgrenzen aus den Augen zu verlieren. Diese Deutung wird durch die
Ausführungen Formanns bestätigt, die die klassischen Persönlichkeitsprofile
und typischen Motivlagen r die Übernahme von Betriebsratsfunktionen
beschreiben (vgl. 2011, 179-182). Darüber hinaus stellen Phänomene der
Erschöpfung, der Schwäche und der Resignation im Arbeitsumfeld Tabus dar
und sind mit dem Selbstbild von Betriebsrät/innen meist schwer vereinbar.
13
Ob gewerkschaftliche Betreuungskonzepte von Betriebsrät/innen Elemente aus Supervision
und Coaching beinhalten und auf welchen Ausbildungen diese allfällig fußen, bedürfte einer
eigenen Untersuchung.
116
Eine Folgewirkung von reflexiver Beratung von Betriebsräten, die nicht im Zuge
der Kategorienbildung angedacht und in einem Interview konkret angesprochen
wurde, betrifft die Organisation selbst. Der/ die Betriebsratsvorsitzende dieses
Unternehmens ist bereits seit mehreren Jahrzehnten in dieser Funktion tätig,
die ersten Erfahrungen mit den Beratungsformaten reichen in die 1990er Jahre
zurück. Nachdem Supervision und Coaching seit vielen Jahren gängige Arbeits-
instrumente in der Praxis des Betriebsrats sind und mit ihnen positive
Erfahrungen gesammelt wurden, wurde durch den Betriebsrat ihre
Implementierung in das Unternehmen erfolgreich forciert:
Parallel dazu haben wir gesagt wir wollen Möglichkeiten im Betrieb schaffen,
dass Leute Coaching in Anspruch nehmen können. Wir haben dann mit der
Firma eine Vereinbarung getroffen ... Im Betrieb haben wir ein eigenes System,
so eine Art Akademie, wo es für Führungskräfte und auch ganze Abteilungen
Supervision und Coaching, aber auch Moderation gibt - immer im Anlassfall. Bei
der Entstehung hat auch der Betriebsrat mitgewirkt (IP4).
Hier ist es offenbar gelungen in Zusammenarbeit mit Geschäftsführung und
Personalleitung Supervision und Coaching über den Betriebsrat hinaus als
Arbeitsinstrumente im Unternehmen zu etablieren.
5.7.5. Nebenwirkungen
In allen Interviews wurde nach Risiken und Nebenwirkungen von reflexiver
Beratung gefragt. Ziel war es hierbei mögliche nachteilige Effekte bzw.
potenzielle Gefahrenstellen zu identifizieren.
Drei Personen gaben an, dass Selbstreflexion per se neben allen positiven und
gewünschten Auswirkungen ein Wagnis darstellt, da dadurch vertraute Denk-
und Handlungsmechanismen in Frage gestellt werden und Veränderungs-
117
prozesse über beruflich intendierte Themen hinausreichen, die auch die Person
miteinbeziehen können.
Die einzige Nebenwirkung ist die, dass du dich selbst hinterfragst, das kann
auch manchmal unangenehm sein, weil man bei manchen Geschichten
bemerkt, dass sie mit einem selbst zu tun haben (IP1).
Warnhinweis es kann dein Leben vendern (lacht!) - aber das würd ich eher
positiv sehen (IP2).
Sich selber anders wahrzunehmen kann ein Risiko sein, man we ja nicht, ob
man sich selbst so gut kennenlernen möchte (IP5).
Eine Person deutet an, dass durch intensive Anwendung selbstreflexiver
Formate die Gefahr bestünde berufliche Zusammenhänge nur mehr unter
psychologischen Gesichtspunkten betrachten zu können:
Abgleiten ins Psychologische, alles wird nur mehr psychologisiert (IP4).
Die Frage nach Nebenwirkungen veranlasste Interviewpersonen dazu die
Problematik der Rahmenbedingungen anzusprechen. So wurde in zwei Fällen
die Schwierigkeit der Finanzierung betont, eine Person gab an, dass im dichten
Terminkalender Beratung zusätzlich Zeit in Anspruch nehme. Als mögliche
Gefahrenstelle wurde das Nahverhältnis von Supervisor/innen zum Unter-
nehmen erwähnt und die Bedeutung unabhängiger externer Beratung
hervorgehoben.
Die Unterstützung bei Entscheidungsfindungen ist zweifellos ein zentrales
Themenfeld in der reflexiven Beratung betrieblicher Interessenvertretungen. Als
ein möglicher negativer Effekt wurde die Ausbildung eines Abhängigkeits-
verhältnisses von Beratung genannt.
118
Entscheidungsschwäche vielleicht, dass man sich nur mehr auf Supervision
verlässt, Teamführung vielleicht, man ist ja sehr beratergetrieben in allem; dass
man vielleicht keinen Schritt mehr tut bevor nicht gründlich reflektiert wurde.
Man braucht sicher immer die richtige Dosierung (IP2).
Angesprochen wird in diesem Gesprächsauszug die Gefahr, dass die
eingehende reflexive Befassung mit beruflichen Themen sowie das Treffen von
Entscheidungen ausschließlich in der Verbindlichkeit eines bestimmten Settings
bewerkstelligt werden können. In diesem Falle würde es nicht gelingen Lern-
und Reflexionsprozesse, die in Supervision und/oder Coaching aktiviert und
praktiziert werden in den beruflichen Alltag zu übertragen. Scheitert dieser
Transfer, so ginge dies einher mit einer Einbuße von Eigenständigkeit und
Autonomie sowie beträchtlichen Einschränkungen beruflichen Handelns.
5.7.6. Interpretation des Umfrageergebnisses
Nachdem zum Zeitpunkt der Interviews die Umfrage bereits ausgewertet
worden war, sollte die Gelegenheit wahrgenommen werden, um erstens die
Interviewpersonen über die Ergebnisse zu informieren, und sie zweitens um
eine Interpretation zu folgender Fragestellung zu ersuchen: Wie erklären Sie
sich den Zusammenhang zwischen den einerseits relativ niedrigen Werten zu
Bekanntheitsgrad und Anwendung der Beratungsformate und andererseits den
relativ hohen Werten zu Interesse und Relevanzeinschätzung?
Der geringe Bekanntheitsgrad der Beratungsformate in der betriebsrätlichen
Praxis wird durchwegs darauf zurückgeführt, dass von den zuständigen
Institutionen Gewerkschaft und AK keinerlei einschlägige Angebote gemacht
werden. Nachdem diese im gewerkschaftlichen Bildungsdiskurs als Arbeits-
instrumente nicht aufscheinen, wird auch die Rechtmäßigkeit des Bedarfs und
des Gebrauchs in Frage gestellt. Mit ironischem Unterton kommentiert dies eine
Person wie folgt:
119
Ich glaub es ist so, dass wenn das Angebot von meiner Vertretung, der AK oder
der Gewerkschaft kommt, dann ist es erst legitim, dann darf ich es erst
brauchen, dann ist es ein Arbeitsinstrument! Es geniert sich ja auch keiner in
den IFAM Kurs zu gehen. - Das heißt, alles was von meiner Standesvertretung
angeboten wird, darf man brauchen (IP5).
Die Anwendung reflexiver Beratungsinstrumente setzt in den meisten Fällen
persönliches Interesse oder private Bezugspunkte voraus:
Es ist glaub ich, wenig Wissen vorhanden, weil man sich persönlich Wissen
aneignen muss. Um zu wissen was Supervision bedeutet und auch in der
Unterscheidung zu Therapie, muss man sich damit befassen, es muss einen
schon persönlich interessieren. Es gibt auch kein Angebot der Gewerkschaft,
zumindest hab ich keines wahrgenommen (IP4).
Zudem wird die Einführung der Beratungsformate in die Betriebsratspraxis
durch die Existenz von Vorurteilen und missverständlichen Deutungen
erschwert. Aus den Gesprächen geht hervor, dass ihre Anwendung häufig als
Schwäche ausgelegt werde und selbst in den Heimatsystemen Betriebs-
rat und Gewerkschaft Irritation hervorrufe. Das Vorgehen erscheint umso
verdächtiger als es sich bei Berater/innen um Personen handelt, die im
gewerkschaftlichen Feld nicht verortet werden können.
Jemanden, der nicht aus Gewerkschaft oder AK kommt als Berater zu holen,
warf die Frage auf: in wessen Hände begibst du dich da? (IP2).
Erklärungen für das große Interesse und die hohe Relevanzeinschätzung
wurden nicht ausdrücklich genannt und können nur indirekt anhand der
durchwegs positiven Erfahrungen und Bewertungen der Interviewpersonen mit
den Beratungsformaten abgeleitet werden. In drei Gesprächen wurde darauf
hingewiesen, dass auf Seiten des Managements allen voran Coaching als
zeitgemäßes und opportunes Instrument angewandt werde:
120
Jeder Manager lässt sich, wenn er klug ist coachen, weil es hilft und
Perspektiven erweitert und insofern müssen wir auch diese Tools haben! (IP2)
Werden Supervision und Coaching als wertvolle Arbeitsinstrumente der
beruflichen Praxis gesehen, kann ihre etablierte Anwendung im Bereich des
Managements im Vergleich mit ihrem geringen Stellenwert in der Welt von
Betriebsräten und Gewerkschaften als Nachteil gedeutet werden.
121
6. Fazit
Ausgangspunkt vorliegender Arbeit bildeten die Fragestellungen nach dem
Verbreitungsgrad und der Wirkung von Supervision und Coaching auf das
Arbeitsfeld von Betriebsräten.
Um Daten zum Verbreitungsgrad zu erhalten wurde die Methode der Umfrage
gewählt. Werden die Ergebnisse der Befragung auf Basis einer Verbalen Rating
Skala
14
resümiert, so können sie wie folgt zusammengefasst werden: Die
Anwendung von Supervision und Coaching im Arbeitsfeld österreichischer
Bertiebsrät/innen ist als gering zu bezeichnen. Die Beratungsformate sind in der
Zielgruppe mäßig bekannt, einem Viertel der Befragten sind die Beratungs-
formen gänzlich unbekannt. Es existiert ein starkes Interesse an den
Beratungsformaten und ihre Bedeutung für das Arbeitsfeld wird als stark
eingeschätzt. Bei der Deutung der Umfrageergebnisse ist als Folge der
methodischen Vorgangsweise der Gesichtspunkt der Selbstselektion durch die
Befragten miteinzubeziehen.
Diese Ergebnisse werfen neuerlich Fragen auf. Woran liegt es, dass nur
geringe Informationen im Feld vorhanden sind, obgleich ein hohes Interesse
vorliegt? Wie ist es zu erklären, dass die Anwendungspraxis so gering
ausgeprägt ist, obgleich Supervision und Coaching eine hohe Bedeutung
beigemessen wird?
Als Gründe für den geringen Bekanntheitsgrad und die daraus erklärbare
schwach ausgeprägte Anwendung wurden in Erwägung gezogen: Supervision
und Coaching werden als Arbeitsinstrumente in den Bildungsangeboten von
Gewerkschaft bzw. AK wenig oder gar nicht angeboten und spielen im
Bildungsdiskurs eine untergeordnete Rolle. Betriebsräte verfügen daher über
wenig Wissen bezüglich Funktion und Potential der Beratungsformen. Dieser
14
vgl. hierzu https://de.wikipedia.org/wiki/Verbale_Rating-Skala; [Zugriff: 14.6.2018]
122
Umstand begünstigt missverständliche Deutungen und die Entstehung von
Vorurteilen. Die Aussparung im gewerkschaftlichen Bildungsdiskurs führt dazu,
dass den Beratungsformaten mitunter etwas Exotisch Fremdartiges anhaftet.
Selbst bei Anwender/innen nnen Zweifel auftauchen, ob es sich hierbei um
ein legitimes Arbeitsinstrument einer Arbeitnehmervertretung handelt ( so
jemanden zu holen, der nicht aus Gewerkschaft oder AK kommt als Berater zu
holen, warf die Frage auf: in wessen Hände begibst du dich da? IP5). In
Branchen, in welchen Kenntnisse und Erfahrungen über reflexive Beratung
aufgrund ihrer Anwendung im betrieblichen Alltag vorhanden sind, ist deutlich
mehr Wissen sowie eine verstärkte Integration in die betriebsrätliche Praxis zu
konstatieren. Die Relevanzeinschätzung von Supervision und Coaching für die
Betriebsratsarbeit steigt in diesem Segment von stark auf sehr stark an.
Als weiterer Grund für die geringe praktische Anwendung der Beratungsformate
wurde ihre sperrige Vereinbarkeit mit dem tradierten Rollenbild des Betriebsrats
und mit den spezifischen Normen und Handlungsmustern von Gewerkschaften
angeführt. So zählt es zu den zentralen Kriterien gewerkschaftlichen
Durchsetzungsvermögens, Kräfte zu konzentrieren und bis zu einem gewissen
Grad zu steuern um kollektive Interessen durchsetzen zu können (vgl. Pongratz,
2011, 40). Die verstärkte Ausdifferenzierung von Sichtweisen, die reflexive
Praktiken zweifellos fördern, erschweren hingegen konventionelle Formen
gewerkschaftlicher Mobilisierung. Pongratz bringt es auf die Kurzformel:
Reflexivität stärkt das Individuum und die Gruppe gegenüber der
Organisation (2011, 41). Dennoch sieht er nach einer Phase der Verstörung,
die kurzfristig Kosten verursacht, den langfristigen Nutzen der Etablierung
reflexiver Beratungsmodelle als wesentliche Voraussetzung für die
Revitalisierung der Gewerkschaften und für die Professionalisierung der Arbeit
der Betriebsräte (2011,42). Das reflexive Potential sei konkret dahingehend zu
nutzen die gewerkschaftliche Leitidee von Solidarität neu zu konzeptualisieren
(2011, 44-45).
123
Eine ähnliche Einschätzung der Relevanz reflexiver Arbeitsinstrumente für die
Erneuerung sozialpartnerschaftlicher Strukturen in Österreich findet sich bei
Becksteiner et al. Ausgehend vom Befund des sukzessiven Verlustes
gewerkschaftlichen Gestaltungs- und Durchsetzungsvermögens plädieren sie
für eine Entbürokratisierung der Gewerkschaften und für die Stärkung der
Bewusstseinsbildung und der Konfliktfähigkeit auf betrieblicher Ebene (2010,
279). Sie treten für eine Abkehr überholter gewerkschaftlicher Denk- und
Praxismuster ein, die vor allem auf der defensiven Ausrichtung, auf Abwehr und
Verhinderung von Verschlechterungen beruhen. An ihrer Stelle gelte es
Veränderungen zu initiieren, die sich auf ein langfristiges Lernmodell von
Reflexion und Analyse gründeten, und das Feld durch kulturelle Praxisformen
zu erneuern vermögen (2010, 282-284). Solch ein langfristig angesetzter
Prozess setze auf die aktive Beteiligung und den Gestaltungswillen ihrer
Akteur/innen und auf die Kultivierung neuer Lernformen (vgl. 2.3.), die sich
unter anderen in den Beratungsformen von Supervision und Coaching
konkretisieren könnten.
Festzuhalten ist auch, dass die Relevanz von Supervision und Coaching für das
Arbeitsfeld, die von 64% der Befragten von hoch bis sehr hoch eingeschätzt
wird, bei Personen mit Beratungserfahrung deutlich nämlich auf 87 Prozent
ansteigt. Dieser Vergleich legt nahe, dass sich Erwartungen, die in das
Potential der Beratungsformate gesetzt werden, durch die praktische
Anwendung bestätigen.
Aus dem qualitativen Teil können folgende Aussagen abgeleitet werden: Die
Interviewpersonen haben eine Vielzahl von Veränderungen in der Betriebs-
ratsarbeit beschrieben, die auf die Anwendung der Beratungsformate
zurückgeführt werden. Werden diese unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für
Person und Arbeitsfeld untersucht, so kann konstatiert werden, dass Beratung
positive Effekte zeitigt. Die zentralen Ansatzpunkte, die im Mittelpunkt von
Veränderungsprozessen stehen, wurden ausführlich im Abschnitt 5.7.4.
erläutert. Schlagwortartig können folgende Aspekte, die im Arbeitsfeld als
124
positive Veränderungen beschrieben und auf Supervision bzw. Coaching
zurückgeführt wurden, hervorgehoben werden:
Positionierung und Ausbildung beruflicher Identität
Rollenklärung und Sensibilisierung für eigene und externe Ansprüche
Stabilisierung und Entlastung in Phasen hoher Beanspruchung
Umgang mit Krisensituationen
Klärung emotionaler und organisatorischer Themen im Team
Entwicklung adäquater Abgrenzungsstrategien
Eine besondere Bedeutung von Beratungsprozessen liegt in der Möglichkeit
des Heraustretens aus Vorgaben und Normierungen der beruflichen Rolle. Die
klare Unterscheidung von Funktion und Person und die daraus resultierende
Auseinandersetzung mit dem eigenen Rollenverhalten werden als zentrales
Erlebnis reflexiver Beratung beschrieben. Für die große Bedeutung dieser
Thematik können folgende Gründe angenommen werden: Erstens bringt es die
Vielfältigkeit des betriebsrätlichen Arbeitsfeldes mit sich, dass sowohl die Wahl
der Arbeitsschwerpunkte als auch die Rollenauslegung weitgehend selbst zu
definieren sind. Zweitens kennzeichnet Betriebsratsarbeit den Umgang mit
ambivalenten Erwartungshaltungen, die ein Agieren in sehr unterschiedlichen
sozialen Konstellationen erfordert. Und drittens fußen Betriebsratsfunktionen
häufig auf bestimmten politischen Wertehaltungen und werden mit großem
persönlichen Einsatz und Idealismus betrieben. Dementsprechend hoch kann
die Identifikation mit beruflichen Rollenbildern sein.
Supervision und Coaching bieten einen Rahmen um Probleme anzusprechen
und zielgerichtet zu bearbeiten. Diese wenig überraschende Feststellung mag
trivial klingen, ist aber unter Berücksichtigung des dichten Arbeitsalltags von
Betriebrät/innen und in einem Arbeitsfeld, in dem das Thematisieren
persönlicher Verunsicherung oder Schwäche keinen Platz haben durchaus als
Kraftakt zu interpretieren. Die Anwendung reflexiver Beratung kann als
exklusiver Raum gedeutet werden, der im herkömmlichen Arbeitsumfeld nicht
125
vorgesehen ist. Es können Auswirkungen des beruflichen Umfeldes auf
individueller Ebene in den Blick genommen, bearbeitet und integriert werden.
Nachdem die Beratungsformate häufig erst in fortgeschrittenen Stadien von
Konflikt- bzw. Krisenlagen - gewissermaßen als "Letztmittel - herangezogen
werden, finden sie wenig Verwendung in Frühphasen von Prozessen der
Zielfindung oder der strategischen Planung.
Supervision und Coaching erweisen sich in ihren Auswirkungen auf die
betriebsrätliche Praxis als effiziente Arbeitsinstrumente. Beachtenswert ist der
Umstand, dass auch Betriebsrät/innen ohne einschlägige Beratungserfahrung
und ausgeprägtes Wissen ein hohes Interesse an ihnen angeben. Daraus kann
geschlossen werden, dass hier Bedürfnisse bzw. Wirkungserwartungen
vorliegen, die durch das konventionelle Bildungsangebot nicht abgedeckt sind.
In Anbetracht der Untersuchungsergebnisse, die die Anwendung der
Beratungsformate sowohl als wichtigen Beitrag zur Professionalisierung der
Betriebsratsarbeit als auch notwendiges Ventil beruflicher Belastungen
qualifizieren, stellt sich die Frage, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten
um sie im Feld besser zu positionieren. Hierzu wäre zunächst der evidente
Bedarf an Aufklärung über Funktion und Potential der Formate zu nennen um
missverständliche Interpretationen auszuräumen. Würden Informationen in
diese Richtung seitens der Bildungsabteilungen der Gewerkschaften und der
AK erfolgen, würde dies auch die Verträglichkeit reflexiver Beratungsformen mit
dem Felde der Gewerkschaftsarbeit ermöglichen und sie als Arbeitsinstrumente
legitimieren. Die wirkungsvollste Maßnahme bestünde wohl darin, wenn die
Personalentwicklungsabteilungen der Gewerkschaften und der AK in den
eigenen Reihen verstärkt auf reflexive Formate setzten, um diese so als
selbstverständliche Option gewerkschaftlicher Bildungskultur zu etablieren.
126
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Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Vergleich des Bekanntheitsgrads der Beratungsformate auf Basis
der Prozentwerte der Gesamtmenge (GM) mit der Teilmenge aus
Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereich (TM)
Abbildung 2: Vergleich der Fragen F1 - F4 auf Basis der Prozentwerte der
Gesamtmenge (GM) mit der Teilmenge durch Exklusion des
Gesundheits-, Sozial- und Bildungsbereichs (TM)
Abbildung 3: Einschätzung der Bedeutung der Beratungsformate der
Gesamtmenge (GM) im Vergleich mit der Teilmenge bestehend
aus Personen mit Beratungserfahrung (TM)
Abbildung 4: Interesse an den Beratungsformaten der Gesamtmenge (GM) im
Vergleich mit der Teilmenge der Personen mit Beratungserfahrung
(TM)
133
Anlagen
FRAGEBOGEN
Thematische Angaben
1. Wie gut kennen Sie die Beratungsformate Supervision und Coaching?
sehr gut
gut
nicht gut
überhaupt nicht
2. Welche Bedeutung messen Sie den Beratungsformaten Supervision
und Coaching für die Betriebsratsarbeit bei?
sehr hoch
hoch
weniger hoch
nicht hoch
3. Wie interessiert sind Sie an diesen Beratungsformaten?
sehr interessiert
interessiert
weniger interessiert
nicht interessiert
4. Haben Sie in Ihrer Funktion als Betriebsrat/ Betriebsrätin schon einmal
Supervision oder Coaching in Anspruch genommen?
Ja
Nein
5. In welchem Setting haben Sie Beratung in Anspruch genommen?
Einzel-Supervision
Gruppen-Supervision
Team-Supervision
Einzel-Coaching
Gruppen-Coaching
Team-Coaching
Sonstiges (bitte angeben)
134
6. Haben Sie bereits vor Ihrer Funktion als Betriebsrat/ Betriebsrätin
Supervision oder Coaching in Anspruch genommen?
Ja
Nein
7. Wie würden Sie Ihre Erfahrung mit diesen Beratungsformaten
einschätzen?
sehr groß
groß
durchschnittlich
gering
Bei Interviewbereitschaft bitte hier Name und E-Mail-Adresse oder Telefonnummer
bekanntgeben.
8. Würden Sie aufgrund Ihrer Erfahrung für ein persönliches Interview zu
diesem Thema zur Verfügung stehen?
Wenn ja, bitten wir Sie Ihren Namen sowie Ihre E-Mail-Adresse oder
Telefonnummer unten einzutragen.
Ja
Nein
Demographische Angaben
9. Wie lange üben Sie die Funktion als Betriebsrat/ Betriebsrätin aus?
0 - 5 Jahre
6 - 10 Jahre
11 - 15 Jahre
16 - 20 Jahre
mehr als 20 Jahre
Sonstige (bitte angeben)
10. In welcher Branche sind Sie tätig?
Industrie
Energie-, Wasserversorgung; Abfallentsorgung
Bau
Gewerbe, Handwerk
Handel
Verkehr
Bildung
Gesundheits- und Sozialwesen
Finanz-, Versicherungswesen
135
Information und Kommunikation
Gastgewerbe, Tourismus
11. In welchem Bundesland arbeiten Sie vorwiegend?
Burgenland
Kärnten
Niederösterreich
Oberösterreich
Salzburg
Steiermark
Tirol
Vorarlberg
Wien
12. Sind Sie männlich oder weiblich?
Männlich
Weiblich
13. Wie alt sind Sie?
18-29 Jahre
30-39 Jahre
40-49 Jahre
50-59 Jahre
Über 60 Jahre
136
BEGLEITSCHREIBEN: Einladung zur Teilnahme an der Umfrage
Liebe Kollegin, lieber Kollege,
Anbei leiten wir Dir einen Link zu einem kurzen Fragebogen zum Thema
Supervision und Coaching in der Betriebsratspraxis von Mag Peter Hackl
weiter. Er studiert derzeit an der Sigmund Freud Universität und schreibt zu
diesem Thema seine Master Arbeit. Davor war er war 20 Jahre als freigestellter
Betriebsrat im Sozialbereich tätig.
Die Ergebnisse des Fragebogens wird Kollege Hackl in seiner Master Arbeit
verarbeiten. Darüber hinaus wird er Interviews mit Betriebsrätinnen und
Betriebsräten machen, die bereits persönliche Erfahrung mit Supervision oder
Coaching im Rahmen ihrer Betriebsratstätigkeit gemacht haben. Wenn Du ihm
für ein Interview zur Verfügung stehen willst, gib ihm bitte Deine Kontaktdaten
(innerhalb des Fragebogens) bekannt, da diese Auswertung anonym erfolgt.
Wenn Du an dieser kurzen Umfrage (ca. 3 Minuten) teilnimmst, klicke bitte auf
den Button Umfrage starten
Mit freundlichen Grüßen
Ruth Naderer und Heinz Leitsmüller
Abteilung Betriebswirtschaft AK Wien
137
BEGLEITSCHREIBEN: Einladung zur Teilnahme an einem Interview
Werter Kollege!
Vielen Dank für die Teilnahme an der Befragung "Supervision in der BR Arbeit"
und Ihre Bereitschaft für ein Interview zur Verfügung zu stehen.
Gerne würde ich Sie interviewen um Ihre Erfahrungen als Betriebsrat mit
Supervision bzw. Coaching kennen zu lernen!
Das Interview wird ca. eine Stunde dauern und muss aufgezeichnet werden, um
die Inhalte bearbeiten zu können. Die Inhalte werden streng vertraulich
behandelt und in der wissenschaftlichen Verarbeitung anonymisiert.
Sollten Sie mit dieser Vorgangsweise einverstanden sein, freue ich mich auf
Terminvorschläge und ein baldiges Gespräch!
Mit freundlichen Grüßen
Peter Hackl
138
BEGLEITSCHREIBEN: Absage zur Teilnahme an einem Interview
Werter Kollege!
Vielen Dank für die Teilnahme an der Befragung "Supervision in der BR Arbeit"
und Ihre Bereitschaft für ein Interview zur Verfügung zu stehen!
Auf Grund der hohen Beteiligung meldeten sich mehr Kolleg/innen mit
einschlägiger Beratungserfahrung als gedacht. Ich musste folglich den Kreis der
Interviewpartner/innen auf Grund meiner Ressourcen und auf der Basis
soziodemographischer Selektionskriterien reduzieren, so dass es derzeit nicht
notwendig ist Ihre Zeit für ein Interview in Anspruch zu nehmen.
In meiner Masterarbeit beschäftige ich mich mit dem Verbreitungsgrad und der
Wirkung von Supervision und Coaching in der Betriebsratsarbeit. Sollten Sie an
den Ergebnissen dieser Arbeit interessiert sein, übermittle ich Ihnen nach
Fertigstellung gerne ein Exemplar, um mich auf diese Weise nochmals
ausdrücklich zu bedanken.
Liebe Grüße
Peter Hackl
139
INTERVIEWLEITFADEN
A) EINSTIEG
Wie ist Beratung aktuell im Betriebsrat verankert? - Wer? Wann? Wie
lang? Seit wann? Kontingent? Setting?
Wann haben Sie das letzte Mal daran gedacht, dass das ein Thema für
die Supervision wäre?
Wann haben Sie erstmals in ihrer Funktion als Betriebsrat/rätin daran
gedacht Supervision oder Coaching in Anspruch zu nehmen?
Was war der konkrete Anlass, als Sie sich entschlossen einen
Beratungstermin zu vereinbaren?
Wer oder welche Organisation war Ihnen beim Erstkontakt behilflich?
In welchen Situationen war Supervision oder Coaching für Sie besonders
wichtig?
B) HAUPTTEIL
Wirkung im Allgemeinen
Wie hat sich Supervision und Coaching auf die Betriebsratsarbeit konkret
ausgewirkt?
Können Sie sich an Ereignisse erinnern, die völlig anders gelaufen wären
ohne Beratung?
Gibt es Veränderungen in der Betriebsratsarbeit, die sich auf die
Anwendung von Supervision oder Coaching zurückführen lassen?
Ziele
Werden in der Supervision oder im Coaching regelmäßig Ziele definiert?
Werden die formulierten Ziele erreicht?
Können Sie exemplarisch Ziele nennen?
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Wirkungsfelder
Welche Auswirkungen hat Supervision oder Coaching auf Ihre
Beziehung zu
Belegschaft/ Gewerkschaft/ Betriebsratsgremium?
Hat Supervision oder Coaching Ihr Verhältnis zu Belegschaft/
Gewerkschaft/ Betriebsratsgremium verändert?
Inwiefern hat sich Supervision oder Coaching auf Sie als Person
ausgewirkt?
Haben sich persönlichen Sichtweisen verändert? - Welche?
Inwiefern hat Supervision oder Coaching Ihre Handlungsmuster
verändert?
Nebenwirkungen
Denken Sie, dass auch unerwünschte Nebenwirkungen auftreten können?
Was sollte am Beipackzettel unter Nebenwirkungen stehen?
Gibt es für Sie Risiken oder Gefahren bei Supervision oder Coaching?
Haben Sie auch negative Effekte erlebt?
C) SCHLUSS
Die Umfrage zeigt, dass viele Betriebsrät/innen großes Interesse an den
Beratungsformaten haben und diesen auch eine hohe Relevanz
einräumen, gleichzeitig ist aber wenig Wissen und wenig praktische
Erfahrung vorhanden. - Haben Sie eine Erklärung dafür?
Wie wurde der Kontakt zu Berater/innen hergestellt?
Wie werden Beratungsleistungen finanziert?
141
Eigenständigkeitserklärung
Hiermit bestätige ich durch meine Unterschrift, dass ich vorliegende
Masterthesis mit dem Titel Über die Verbreitung und Wirkung der
Beratungsformate Supervision und Coaching in der betriebsrätlichen Praxis
österreichischer Arbeitnehmervertretungen" eigenständig verfasst habe.
Peter Hackl